Mehr Lärmschutz für weniger Geld? – Der Traum vom weltbesten Schallschutz am BER
Den „weltbesten“ Schallschutz haben die BER-Manager den Flughafenanwohnern versprochen. Bis Jahresende sollen alle betroffenen Bürger die sogenannten Anspruchsermittlungen in den Händen halten. Doch wirklich eingebaut wird der Schallschutz derzeit kaum.
Eine Spurensuche in Berlin-Bohnsdorf. Von Thomas Rautenberg
Das Gemeindeheim in Bohnsdorf ist an diesem Abend bis auf den letzten Platz besetzt. Rund 150 Anwohner sind zur Informationsveranstaltung Schallschutz des Verbandes Deutscher Grundstücksnutzer gekommen. Fluglärmbetroffene, die ihre Häuser vor dem drohenden Krach der Flugzeuge schützen wollen. Menschen, die dennoch fürchten, mit dem geplanten Start des BER im Herbst 2017 ohne jeden Schallschutz dazustehen. Die Stimmung ist gereizt – und das nicht von ungefähr, sagt Verbandspräsident Peter Ohm. Wenn der Flughafen so weiter macht, wie er in den letzten Jahren und in den letzten Monaten gearbeitet hat, „dann wird er es nicht schaffen“, prognostiziert Ohm. „Wir werden dann viele Betroffene haben, die nicht vor dem Schall geschützt sind, die dann mit der Eröffnung den Fluglärm mit voller Power abbekommen werden.“
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der Flughafen in den vergangenen Wochen und Monaten bei den sogenannten Anspruchsermittlungen kräftig nachgelegt hat: 25.500 Haushalte rund um den BER haben Anspruch auf Schallschutz. 60 Prozent der Betroffenen sollen inzwischen ihre Unterlagen von der Flughafengesellschaft bekommen haben. Mit anderen Worten: Sobald die Anwohner die Vorgaben des Flughafens schriftlich akzeptieren, können sie sich den Schallschutz in ihre Häuser einbauen lassen.
Flughafengesellschaft korrigiert ermittelten Anspruch nach unten
Doch genau daran hakt es. Die Menschen trauen dem Flughafen nicht über den Weg, viele fühlen sich um ihre Ansprüche betrogen. Zwei von ihnen sind Jutta und Hans Oppermann, zwei Ärzte im Ruhestand, die sich in der Bohnsdorfer Bachstraße ein kleines Einfamilienhaus aufgemöbelt haben. Im November 2006 hatten die Oppermanns Schallschutz für ihr Haus beantragt und fünf Jahre später genehmigt bekommen. 31.000 Euro, für fünf Zimmer inklusive Wohnküche und Wohnwintergarten, so hatte es die Flughafengesellschaft damals ausgerechnet. Inzwischen aber haben die Oppermanns eine neue Anspruchsermittlung bekommen, diesmal nur über 24.000 Euro.
Im Begleitbrief der Flughafengesellschaft vom 15.Oktober 2015 heißt es: „Wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass wir Ihnen auf Grundlage der für das Schallschutzprogramm BER geltenden rechtlichen Vorgaben keine Schallschutzmaßnahmen für die folgenden Räume erstatten können: Wohn/Schlafzimmer – Höhe 2,20 Meter, ein Büro – Höhe 2,20 Meter, zweites Büro – Höhe 2,10 Meter, Schlafzimmer – 2,10 Meter.“ Anbau und Dachgeschoss des Hauses sollen gegen den Fluglärm ungeschützt bleiben, weil die Raumhöhe nicht dem heutigen Baumaß von 2,50 Meter entspricht. So hat es die Flughafengesellschaft entschieden.
Kein Schutz für kleine Räume, niedrige Räume …
Jutta Oppermann legt die Bauunterlagen auf den Tisch, bestätigt und genehmigt vom Stadtbezirk Treptow-Köpenick. „Da ist ausgeschrieben, dass die Raumhöhe von 2,20 Meter eingehalten werden muss“, sagt sie. „Das haben wir auch getan.“ Die Oppermanns haben also gebaut, wie es ihnen die Genehmigung des zuständigen Amtes vorgeschrieben hat – und genau das soll ihnen jetzt bei der Bewertung durch den Flughafen auf die Füße fallen.
Auch der Wohnwintergarten des Oppermanns wurde aus dem Erstattungsantrag gestrichen. Unbegreiflich sei das, sagt die 72-jährige Eigentümerin. Fußbodenheizung und einen Kamin hätten sie dort einbauen lassen. Ihr liebster Wohnraum sei es, weil es der hellste Raum sei. „Wir nutzen den zum Frühstück, zum Mittag und zum Abend. Wenn dieser Raum nicht schallgeschützt wird, dann müssten wir ihn eigentlich abreißen. Was sollen wir denn hiermit machen?“
Auch für den Wohnwintergarten kann Familie Oppermann eine amtliche Baugenehmigung vorlegen. Doch die Schallschutzplaner bei der Flughafengesellschaft interessiert das nicht. Rainer Hölmer, zuständiger SPD-Baustadtrat im Bezirk Treptow-Köpenick empfindet das Vorgehen des Flughafens als Zumutung. „Ich als Verantwortlicher der Baubehörde Treptow-Köpenick muss mir vom Flughafen sagen lassen muss, was baubehördlich eine Wohnung ist und was nicht? Ich dachte immer, dass wir als Baubehörde das festlegen und nicht der Flughafen“, sagt er spöttisch. „Das sind schon sehr interessante Zustände, die wir hier erleben. Insofern verstehe ich den Frust und bin auch nicht glücklich mit dem, was da gerade läuft.“
Baustadtrat: BER spart auf Kosten der Bürger
Die Erfahrungen der Familie Oppermann sind kein Einzelfall. Offensichtlich, vermutet der Baustadtrat, versuche der Flughafen auf Kosten der schallschutzberechtigten Bürger zu sparen. „Ich stelle immer wieder fest, dass in dem Moment, wo am Flughafen baulich etwas nicht rund gelaufen ist und es mal wieder um einige Millionen Euro teurer wird, es dann sehr, sehr schnell geht und das nötige Geld bereitgestellt wird“, sagt er. „Bei der Umsetzung des baulichen Schallschutzes dagegen sehe ich, dass die Kasse sehr intensiv zugehalten wird.“
Die Familie Oppermann hat ihre Anspruchsermittlung erhalten. In der Statistik des Flughafens gilt das Projekt damit als erledigt. Doch die Oppermanns werden nicht unterschreiben. Die Umsetzung des dringend benötigten Schallschutzes für ihr Haus wird damit auf die lange Bank geschoben. Jutta Oppermann ahnt, wer am Ende den schwarzen Peter bekommen wird, nämlich sie selbst. „Diejenigen, die nicht davon betroffen sind, lesen, dass alles Mögliche getan wird“, sagt sie. „Auch unsere Freunde in der Stadt sagen: Was habt ihr denn? Euch wird doch alles erstattet und jetzt wurde sogar die Dezibel-Zahl noch aufgebessert und so weiter. Aber es ist ja wirklich nicht der Fall – im Gegenteil: Statt alles zu erstatten, wurde jetzt das Meiste rausgestrichen.“
Vielen Bohnsdorfern, die ins Gemeindehaus gekommen sind, geht es ähnlich. Wohnküchen unter zehn Quadratmetern werden von Flughafen nicht als schützenswert anerkannt. Räume mit angeblich zu geringen Höhen werden aus der Anspruchsliste gestrichen – und Wintergärten sowieso. Auch eine Außendämmung der Häuser will der Flughafen nicht bezahlen.
136 Mängel bei Stichproben entdeckt
Das Potsdamer Infrastrukturministerium hat die Anspruchsermittlungen des Flughafens für 45 Häuser stichprobenweise überprüfen lassen. Dabei haben die Experten 136 Mängel entdeckt. Dennoch sieht die Aufsichtsbehörde keinen Grund einzuschreiten. Der Verband deutscher Grundstücksnutzer, berichtet Präsident Peter Ohm den aufgebrachten Bohnsdorfern, habe sich bemüht, mit Flughafenchef Karsten Mühlenfeld einen Kompromiss zu finden. „Das Ergebnis war leider ernüchternd“, sagt er. „Alle Argumente, die wir im Vorhinein schon gehört hatten, hat er herunter gebetet. Er hat leider keine eigenen Ideen oder einen eigenen Ansporn hinsichtlich des Schallschutzes erkennen lassen.“
Der Flughafen seinerseits bleibt dabei: Die Umsetzung des Schallschutzes erfolgt nach Recht und Gesetz, genauso, wie es im Planfeststellungsbeschluss vereinbart worden ist. Der Verband der Grundstücksnutzer will die Flughafenplaner trotzdem gerichtlich zum Einlenken zwingen. Was dabei herauskommen wird, ist völlig offen. Fest steht aber wohl, dass mit dem geplanten Start des neuen Airports im Herbst 2017 viele lärmbetroffene Anwohner weiterhin auf den weltbesten Schallschutz an ihren Häusern warten werden.
Beitrag in Ton: