Der Tagesspiegel vom 27.10.2019, Seite 16 / Meinung, Kommentare, Leserbriefe
LESERBRIEFE
Das BER-Schlamassel
„Luxusimmobilie“ vom 20. Oktober
Vielen Dank für diesen sachlichen Artikel. Leider kommt bei den ganzen Zahlen nicht zum Ausdruck, wie hausgemacht dieses Schlamassel ist. Nicht der Airport ist die Panne, die bisher Verantwortlichen sind es.
Es ist – wie so oft – bei umstrittenen Großprojekten der öffentlichen Hand: Die Verantwortlichen malen am Anfang das Bild einer rosigen Zukunft, die für erstaunlich niedrige Kosten zu bekommen sein soll.
Kritische Bürger, die deshalb kritisch sind, weil sie von der Materie etwas verstehen, kommen dagegen von Anfang an zu völlig anderen Erkenntnissen – und liegen am Ende meist richtig. Wer also frühzeitig wissen wollte, wie dieses Großprojekt sehr wahrscheinlich ausgeht, hätte sich vertrauensvoll an die kritischen Bürger wenden können. Das haben die Verantwortlichen natürlich nicht gemacht, denn sonst wäre das Bild der rosigen Zukunft womöglich schon am Anfang komplett in dunklen Grautönen übermalt worden. Realpolitik war sich mal wieder selbst genug und brauchte keinen Beitrag kritischer Bürger. Das Flughafenprojekt BER hat dafür ein Füllhorn an Beispielen geliefert.
Da ist die Standortwahl, bei der politische Entscheidungsträger den im Raumordnungsverfahren als ungeeignet eingestuften Standort Schönefeld trotzdem durchgesetzt haben. Kritische Bürger haben sich vehement für einen geeigneteren Standort stark gemacht, wurden aber ignoriert. Das war Realpolitik, bei der auch ganz reale Interessen der Flughäfen Frankfurt und München geschützt wurden, um dem Berliner Projekt seine Entwicklungspotentiale zu verwehren (Drehkreuz und 24-h-Betrieb an einem geeigneten Standort). Dass ein Flughafen am falschen Standort nicht richtig zu betreiben ist und daher keine lohnende Investition sein wird, hätte man wissen können.
Da ist das Planfeststellungsverfahren, bei dem man einen nur mittelgroßen Verkehrsflughafen für den Bedarf der Region Berlin-Brandenburg beantragt hat, um den ungeeigneten Standort juristisch überhaupt durchsetzen zu können. Trotzdem ist sich kein Realpolitiker seither zu schade gewesen, von Anfang an vom internationalen Großflughafen oder vom Drehkreuz BER zu reden. Kritische Bürger haben seither auf die Konsequenzen hingewiesen, die aus der Diskrepanz zwischen dem einerseits planfestgestellten und andererseits dem tatsächlich beabsichtigten Flughafenprojekt entstehen. Die Realpolitik wollte den ursprünglich kleiner geplanten Flughafen nur zur juristischen Standortsicherung haben, um danach in bewährter Salamitaktik den tatsächlichen Ausbau „nach Bedarf“ voranzutreiben. Diese Veränderung im laufenden Ausbau ist die Wurzel allen Übels. Dass ein Flughafen mit verheimlichter oder unplanmäßiger Ausbaustrategie für Kostensteigerungen sorgt, hätte man wissen können.
Da ist das Schallschutzprogramm, dessen juristische Grundlage im Planfeststellungsbeschluss und im diesbezüglichen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts abschließend festgelegt wurde. Kritische Bürger haben von Anfang an fundierte Zweifel an der finanziellen Vorsorge der Flughafengesellschaft für den geschuldeten Schallschutz vorgetragen. Die Realpolitik, die diese in öffentlicher Hand befindliche Gesellschaft zu beaufsichtigen hat, begnügte sich aber mit dem Prinzip der drei Affen: nichts sehen, nichts hören und nichts sagen. So kam es, wie es kommen musste. Nicht die Schallschutzanforderungen wurden verschärft, sondern die Fehlkalkulation der Flughafengesellschaft ist aufgeflogen. Die Verantwortlichen haben mit immer absurderen Regelauslegungen versucht, die ursprüngliche Schallschutzkalkulation zu retten. Vergeblich, denn jedes relevante Gerichtsverfahren ging für die Flughafengesellschaft verloren. Dass ein Flughafen mit falsch kalkuliertem Schallschutzprogramm irgendwann von den tatsächlichen Kosten eingeholt wird, hätte man wissen können.
Und nun? Wird jetzt alles gut? Verblasst irgendwann die Erinnerung an alle Fehlleistungen, weil doch noch die rosa gemalte Zukunft wahr wird? Wohl kaum. Statt Europas modernstem Flughafen bekommt die Region ein Sammelsurium aus alten und neuen Abfertigungsgebäuden, deren verkehrstechnische Erreichbarkeit eine echte Herausforderung sein wird. Da im interkontinentalen Flugverkehr niemand auf diesen Flughafen gewartet hat, versammelt sich weiterhin der für Flughäfen unattraktive kontinentale Low-Cost-Flugbetrieb. Wenn ein Flughafen wegen zu geringer Einnahmen mit solchen Passagieren aber kein Geld verdient, dann ist die Prognose von weiter steigenden Passagierzahlen keine gute Nachricht. Das Defizit wird nämlich größer, je mehr dieser Passagiere den Flughafen nutzen. Dass ein Flughafen mit unwirtschaftlichem Geschäftsmodell sich auf Dauer nicht selbst trägt, könnte man eigentlich wissen.
Zuerst hatte man kein Glück und jetzt kommt auch noch Pech dazu.
Ralf Müller, Sprecher der Friedrichshagener Bürgerinitiative (FBI), Berlin-Köpenick