Es ist die berüchtigtste Baustelle des Landes: Über drei Jahre hat ein Ausschuss das Debakel um den neuen Hauptstadtflughafen durchleuchtet. Doch haften muss niemand.
„Weiß nicht mehr“ und „Nicht zuständig“ – wie oft mussten die Berliner BER-Aufklärer das in den vergangenen Jahren hören? Mit 70 Zeugen und 1650 Akten hat der Ausschuss den Skandal um den Dauerflop neuer Hauptstadtflughafen seziert. Und damit offen gelegt, wie die Verantwortlichen den Prestigebau ins Chaos steuerten und Milliarden verbrannten.
Nachher ist man immer schlauer – auch im Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses, der an diesem Freitag nach dreieinhalb Jahren seinen Abschlussbericht beschließt. Doch wer die Sitzungen Revue passieren lässt, fragt sich schon, warum die Verantwortlichen über Jahre nicht merkten, wie ihnen das Projekt entglitt. Die meisten Probleme ergaben sich aus drei großen Fehleinschätzungen:
1. WIR KÖNNEN DAS ALLEIN!
Eigentlich sollte der Bau komplett vergeben werden und in privater Regie schlüsselfertig entstehen. Doch die Länder Berlin und Brandenburg sowie der Bund als Auftraggeber kamen zum Schluss, sie könnten es besser und billiger – was sich als teure Selbstüberschätzung erwies.
Denn die kleine Flughafengesellschaft war überfordert, der Überblick über das in viele Lose aufgeteilte Vorhaben ging verloren. Im Aufsichtsrat saßen Politiker ohne fachliche Beratung, beobachtet nur von einer Gesellschafterversammlung, in der ihre eigenen Beamten saßen. Externe Kontrolle gibt es bis heute nicht.
Hinzu kamen Geschäftsführer und Projektsteuerer, die der Aufgabe nicht gewachsen waren und bittere Wahrheiten verschleierten, Baufirmen, die sehenden Auges Murks einbauten und an der Dauerbaustelle prächtig verdienten.
2. WIR KÖNNEN ES GRÖSSER UND SCHÖNER!
„Die Tinte unter dem ersten Bauantrag war noch nicht trocken, da setzte eine Änderungswelle ein, die eine geordnete und sichere Fertigstellung 2012 letztlich verhinderte“, kritisiert Grünen-Obmann Andreas Otto.
In das durchgeplante Terminal wurde nach Baubeginn ein zusätzliches Geschoss gezwängt, gigantische Umplanungen gab es auch für ein größeres Einkaufszentrum hinter dem Check-In und damit der A380 andocken kann – obwohl der drittgrößte deutsche Flughafen noch viele Jahre ohne den Riesen-Airbus auskommt, wie der heutige Flughafenchef Karsten Mühlenfeld sagt.
Noch während der Bauphase planten Aufsichtsrat und Geschäftsführung das Gebäude immer größer – ohne dass die Haustechnik neu konzipiert wurde, wie der heutige Technikchef Jörg Marks kritisiert. Ob Brandschutzanlage oder Datennetze: An vielen Stellen wurde planlos angeflanscht und geflickschustert. Bis am Ende nichts mehr lief.
3. WIR KÖNNEN ES SCHNELLER!
Politisch gesetzte Eröffnungstermine vergrößerten das Chaos. Als das Unternehmen den für 2011 geplanten Start um sieben Monate verschob, weil eine Planungsfirma pleite ging und neue Vorschriften für die Sicherheitskontrollen kamen, lag der Bau schon mindestens ein Jahr zurück. Hektische Beschleunigungsversuche verschlangen Millionen und vergrößerten das Chaos. Firmen bauten, wie sie wollten, geplant wurde später – wenn überhaupt. Drei weitere Termine platzten.
Für den geschassten Flughafenchef Rainer Schwarz kam Hartmut Mehdorn. Der Manager blies zum „Sprint“ auf der Baustelle – und musste lernen, dass sich Lösungen nicht verordnen lassen. Mehdorn versprach die Eröffnung 2017, heute legt sich lieber keiner mehr fest.
„Einen politisch gesetzten Termin wird es nicht geben“, sagt Aufsichtsratschef Michael Müller (SPD), der im Herbst als Regierender Bürgermeister von Berlin wiedergewählt werden will. „Ich kann nicht ausschließen, dass wir im Jahr 2018 landen.“
UND WER HAT DAS ALLES ZU VERANTWORTEN?
Das ist im Ausschuss umstritten. Die Koalitionsfraktionen von SPD und CDU waren häufig bemüht, den Senat und besonders seinen langjährigen Chef Klaus Wowereit (SPD) aus der Schusslinie zu nehmen und das Debakel der Flughafen-Geschäftsführung anzukreiden. Die Opposition zielt dagegen auf die Politiker im Aufsichtsrat; sie wird dem Abschlussbericht lange Sondervoten hinzufügen.
Nach 330 Sitzungsstunden finden sich Argumente für beide Standpunkte, denn die Verantwortung war auf sehr viele Schultern verteilt. Der Misserfolg hat viele Väter – aber haften muss keiner. Die gefeuerten Geschäftsführer Rainer Schwarz und Manfred Körtgen erhielten Abfindungen. Ein Gericht erkannte keine großen Fehler bei Schwarz.
Bei Wowereit dauerte es lange, bis das Fiasko so schwer lastete, dass er 2014 zurücktrat. Auch der Brandenburger Matthias Platzeck (SPD) ist im politischen Ruhestand. Für ihre Aufsichtsratsarbeit ließen sich die Regierungschefs rechtzeitig entlasten.