BER, falscher Standort + + Brief an Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Kühnast,

in verschiedenen Medien wurden Sie aktuell mit Bezug auf das BER-Unglücksprojekt volkswirtschaftlichen Ausmaßes mit den Worten zitiert:

„Wir wollen sehen, ob es nicht vielleicht am Ende günstiger ist, nebenan ein neues Gebäude zu errichten“

Ich möchte Ihnen darauf gern öffentlich antworten.

Sehr geehrte Frau Kühnast,

Ihre seit BER-Projektbeginn stetig anhaltende Affinität zum unmenschlichen Standort Schönefeld ist hinlänglich bekannt. Auf die insoweit legitime und nachvollziehbare Forderung nach einem anderen, einem raum- und menschenverträglichen Standort gibt es von Ihnen und aus den Reihen der Grünen nur eine Antwort: „Wir sind gegen einen anderen Standort, weil wir gegen Fluglärm sind“. Das ist mal ’ne glockenklare Absage!

So ist es auch nur folgerichtig, dass Sie zu der o.g. absurden, weil menschenverachtenden Idee kommen mussten „am Ende vielleicht günstiger nebenan ein neues Gebäude zu errichten“. An welchem Ende eigentlich?

Im Selbstverständnis der Grünen gehen offensichtlich von den Luftverkehrsimmissionen im Umfeld des Standorts Schönefeld keinerlei Gefährdungen und Schädigungen der Gesundheit von Menschen durch Abgas und Lärm und auch kein gravierender Abbau der Lebensqualität der Menschen, die im Grünen in Ruhe und in gesunder Luft leben wollen aus.

Frau Kühnast, öffnen Sie endlich Ihre Augen für die Risiken und Nebenwirkungen, die von diesem BER-Projekt bis tief hinein in alle Winkel unserer Gesellschaft ausgehen und vor allem Ihr Herz für die von diesem Projekt gegenüber dem Rest der Gesellschaft schwer benachteiligten Menschen im BER-Umland, zu dem last but not least in nicht zu vernachlässigendem Umfange auch Menschen im Berliner Stadtgebiet, ihrem Wohn- und inzwischen sicher auch Heimatort gehören.

Beispielhaft führe ich Ihnen auch gern einige reale Sachverhalte vor Augen.

— Nehmen wir zunächst den von PolitikerInnen mit und ohne Verantwortung, wie auch von Wirtschaftsbossen gern kolportierten „weltbesten Schallschutz“ in den BER-Schallschutz-Gebieten mal unter die Lupe:

Im Monatsbericht der FBB an die Aufsichtsbehörde LuBB (s.a.A.) wird ausgewiesen, dass mit Stand vom 31.08.15 in den Tagschutzgebieten

in Gänze in 110 (!) Wohneinheiten baulicher Schallschutz nach Planfeststellungsbeschluß (PFB) errichtet und von der FBB auch bezahlt worden ist. Für 1.166 Wohneinheiten wurde eine Entschädigung gezahlt und eben kein baulicher Schallschutz nach PFB errichtet! Die Entschädigung wird nach einem FBB-Leitfaden zur „Schallschutzbezogenen Verkehrswertermittlung“ und nicht nach bundesdeutschem Standard ermittelt. 30% dieses Verkehrswertes werden den betroffenen Eigentümern als „Entschädigung“ ausbezahlt. Und Basta!

Wie kann dies im Einzelfall aussehen? Ein konkretes Beispiel:
Am östlichen Rand unserer Gemeinde wird für eine Immobilie der baulich notwendige Schallschutz nach PFB mit Kosten von 92.000 € von einem Ingenieurbüro ermittelt. Der Verkehrswert wird nach FBB-Vorgaben auf 120.000 € „gesprengnettert“ (Gutachterfirma Sprengnetter). Die Eigentümerin bekommt also ein dürres Bündel Geldscheine in Höhe von 36.000 € in die Hand gedrückt. Das sind nicht einmal 40% des für baulichen Schallschutz nach PFB aufzuwendenden Geldbetrags und damit wird die Eigentümerin in der BER-Lärm- und Abgashölle von den politisch Verantwortlichen allein zurückgelassen und bis ans Ende ihrer Tage schutzlos der Fluglärmfolter ausgesetzt werden! Wie inhuman, ja menschenverachtend ist das denn?

Frau Kühnast, ich frage Sie als Juristin und Vorsitzende des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz im Deutschen Bundestag, wie kann es möglich sein, dass in einem Rechtsstaat für eine von der Politik willkürlich bestimmte und zudem unbescholtene Gruppe von Menschen, für grundsätzlich gleichberechtigte Mitglieder des Gemeinwesens also, ohne Not die Gültigkeit von Artikeln des Grundgesetzes, die zu ihrem Schutz doch staatlich garantiert sind einfach aufgehoben werden, ohne dass die exekutiven Organe des Rechtsstaates dagegen tätig werden?

Schaut man im o.g. Schallschutzmonatsbericht mal auf die Quantität der Umsetzung des baulichen Schallschutzes, so wird schnell deutlich, dass für nur knapp 8 ‰ der 14.000 Anspruchsberechtigten bisher Schallschutz nach PFB baulich umgesetzt worden ist und gut 8 % gar keinen Schallschutz nach PFB bekommen. Sie werden gemäß Sprachgebrauch der FBB und der Politik finanziell dafür „entschädigt“, dass sie vom Säugling bis zum Greis ihr Leben in BER-Lärm- und Abgas-Ghettos schutzlos fristen müssen, gelänge ihnen nicht die „Flucht“ daraus. – Flüchtlinge im eigenen Land?

Differenziert man die Angaben aus dem Monatsbericht weiter, so wird deutlich, dass in den Schutzgebieten unter der Nordbahn bisher nur 11 WE baulichen Schallschutz nach PFB bekommen haben. Die Zahl der Entschädigungen im Gebiet der BER-Nordbahn liegt derzeit bei 383.

Kommen im Bereich unter der Südbahn auf eine WE mit errichtetem Schallschutz nach PFB noch 7,9 WEen, die nur eine Entschädigung erhalten, so ist dieses Verhältnis im Bereich der Nordbahn z.Z. etwa 1 zu 34,8,. Die Zahl der „Entschädigungsfälle“ ist dort mehr als vier mal höher als im Bereich der Südbahn!

Ein Blick auf die unten eingeblendete Karte in der email-Signatur macht deutlich, dass im Bereich der Nordbahn deutlich mehr WEen betroffen sind als im Bereich der Südbahn. Das lässt befürchten, dass das Verhältnis zwischen baulichem Schallschutz und finanzieller Entschädigung noch weit schlechter für die Betroffenen ausfallen wird, da z.Z. ja lt. Monatsbericht überhaupt nur bei ca. 9% der Berechtigten „Schallschutzmaßnahmen – Kostenerstattung und Entschädigung (!) – umgesetzt“ worden sind.
— In unserer Gemeinde leben etwa 3.600 Kinder und Jugendliche. Ihnen wird von politisch Verantwortlichen eine „Nachtruhe“ von 5 Stunden Dauer verordnet, in der keine planmäßigen Flüge stattfinden sollen -Verspätungen und Verfrühungen nicht eingerechnet -. In den 5 Stunden zwischen Null und Fünf Uhr herrscht aber keineswegs Ruhe am Himmel. Fracht-, Post-, Sanitäts- und Regierungsflüge finden in dieser Zeit nach vermeintlichem Bedarf und Belieben weiterhin statt. ( s.a.: http://www.diethard.de/Fluglaerm/BER-NachtflugFibel.pdf )

Glücklich (?) dürfen sich da vergleichsweise Eltern und Kinder fühlen, die nicht durch’s FBB-Schallschutzraster „gefallen“ sind und nicht nur eine Entschädigung von der FBB erhalten haben. Sie dürfen nicht nur in der Schule, sondern auch Zuhause bei Tag und bei Nacht ihr Dasein in Schallschutzkäfigen fristen.

Das ist politisch verordnete Massenmenschenhaltung in Schallschutzkäfigen im Grünen, in Gartenstädten und ländlichen Gemeinden.
Dagegen stößt vergleichsweise die Massentierhaltung in Ställen und Käfigen bei einigen PolitikerInnen schon mal sauer auf! – Aber, die ist ja auch nicht politische verordnet worden.

Frau Kühnast, darf eine Gesellschaft so mit Teilen ihrer heranwachsenden Generation umgehen?
Oder anders gefragt:
Dürfen verantwortliche PolitikerInnen in unserem Staatswesen unter Missbrauch der ihnen zeit- und leihweise anvertrauten politischen Macht, ihr Salär vom Souverän beziehend (!) ohne Not Entscheidungen treffen, die entgegen ihres Amtseids gegen das Wohl insbesondere von heranwachsenden Kindern und Jugendlichen gerichtet sind, die „am Ende“ die Gesundheit und die Bildung junger Leute gefährden und behindern, ohne dass der Rechtsstaat diese politischen Verfehlungen ahndet? Kinder haben keine Lobby in diesem Land!
Zusammen mit den unsäglichen Vorgängen und Geschehnissen allein um den Bau des BER sind das alles Folgen des für das Vorhaben gänzlich ungeeigneten Standorts und der gänzlich ungeeigneten Standpunkte jeweils verantwortlicher PolitikerInnen dazu, die diese Situationen erst herbeigeführt haben!

An dieser Situation, sehr geehrte Frau Kühnast, wird sich auch durch „einen Neubau nebenan“ nichts ändern, gar nichts! Ganz im Gegenteil, es würden durch die gleichzeitig auch „erfolgen müssenden“ (?) Kapazitätserweiterungen in den Abfertigungsanlagen die BER-Lärm- und Abgas-Immissionen im Umland des BER weiter deutlich erhöhen. Schließlich hat die FBB die Steigerung der Fluggastzahlen auf bis zu 50 Mio PAX bereits öffentlich willfährig ins Auge gefasst.

Legte man die sogenannte durchschnittliche Anzahl von 111 PAX/Fbw des Berliner-Luftverkehrs aus 2014 zugrunde, so ergäben sich für den Flugzeugtypen- und Streckennetzmix beider Berliner Flughäfen mehr als 450.000 BER-Flugbewegungen per anno für den Transport von 50 Mio. PAX/a. Könnte die Zahl der PAX/Fbw, die Effektivität im Luftverkehr wie z.B. wie in Frankfurt/M. 2014 hier im Berliner Luftverkehr zukünftig auch noch auf 127 PAX/Fbw gesteigert werden, so müssten immer noch etwa 394.000 Fbw/a stattfinden!
Dieses Scenario zukünftiger BER-Flugbewegungen an diesem Standort scheint allerdings für Sie „am Ende“ kein Aufreger zu sein. (s.a.: http://www.diethard.de/Fluglaerm/BER-PrognosenFibel-LV.pdf )
Wo bleibt eigentlich der Aufschrei von Bündnis90/Die Grünen in der Sache des unbändigen Wachstums im Luftverkehrs? Warum wird diese Entwicklung insbesondere im Hinblick auf den BER billigend in Kauf genommen?

Schaut man sich die Grundzüge und Leitgedanken „grüner Politik“ im Kern an, auf die nach eigenem grünen Bekunden mit aller Kern-Energie hin gearbeitet wird,

Ein wesentlicher inhaltlicher Schwerpunkt ist die Umweltpolitik.
Leitgedanke grüner Politik ist ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/B%C3%BCndnis_90/Die_Gr%C3%BCnen

so wird sehr schnell deutlich, und ich stelle hier die These auf, dass der Ausstieg der Grünen aus ihrer ureigenen „Grünen Kernenergie“ mit Bezug auf den BER bereits erfolgt ist!

Natürlich ist es gut möglich, dass ich mich irre. Insofern würde ich Sie gern bitten wollen, die drei Leitgedanken und Säulen grüner Politik, ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit am Beispiel des BER einmal durch zu deklinieren und mir ggf. Ihre deklinablen Ergebnisse mitzuteilen.

Sehr geehrte Frau Kühnast, die Wahl der Standorts Schönefeld für einen neuen Hauptstadtflughafen in 1996 war milde geurteilt ein politisches Husarenstück weit jenseits der Ergebnisse des seinerzeit defacto beiseite geschobenen gesetzlichen Raumordnungsverfahrens.
Im Kern stellt die politische Entscheidung für dieses Standorts allerdings ein bislang nicht geahndetes politisches Verbrechen gegen die Menschenrechte im Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland dar.

Und ich muss an dieser Stelle und zu diesem Zeitpunkt hinzufügen, wer diesen Standort billigend in Kauf genommen hat, nimmt und weiterhin nehmen wird, wer weiteres Wachstum an diesem Standort nicht rigoros abwehrt oder gar fordert, macht sich daran mitschuldig.

Mit dem jetzigen BER-Standort, dem BER-Projekt insgesamt und einem IMMER-WEITER-SO hat sich die Politik gewaltig vergaloppiert. Dazu gehören Sie m.E. ebenso, wie die PolitikerInnen, die das Desaster sogar persönlich zu verantworten haben müssten.

Es genügt auch nicht öffentlich einzugestehen, dass es wirklich ein Fehler war den BER an diesem Standort bauen zu wollen, um damit gleichzeitig öffentlich zu propagieren:

He Leute es tut UNS nun Leid, aber IHR müsst da jetzt trotzdem durch!

Was hier im Lande offensichtlich fehlt ist eine qualifizierte Fehlerkultur im Umgang mit politischen Fehlern, die es selbst sensiblen Gemütern unter den PolitikerInnen ermöglichen könnte aufrechten Ganges Fehlerkorrekturen – und management zu betreiben. Solange das nicht passiert wird das Desaster des BER-Unglüchsprojektes im Laufe der Zeit immer weiter anwachsen und mit der Eröffnung des BER-Flugbetriebs eine völlig neue, möglicherweise ungeahnte oder besser eine von PolitikerInnen in Vogel-Strauß-Manier bisher verdrängte Qualität und Quantität erreichen.

Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann, auch zur politischen Willensbildung!

Mit freundlichem Gruß
Diethard Günther

Anlage:

Schallschutzprogramm_Monatsbericht_31082015

 

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