+ + Noch Flughafenchef Mehdorn glaubt an den BER am nachweislich falschen Standort + +

„Ich wette eine Kiste Dom Pérignon, Jahrgang 1978“
Hartmut Mehdorn tritt im Juni als Chef der Berliner Flughäfen ab. Den BER sieht er auf gutem Weg und glaubt an die Eröffnung im Herbst 2017. Wer’s nicht glaubt, dem bietet Mehdorn eine teure Wette an.

Von Stefan Aust, Beat Balzli, Nikolaus Dol
Hartmut Mehdorn, Chef des Flughafens Berlin-Brandenburg, arbeitet noch bis Mitte Jahr daran, dass der Pannenflughafen im Herbst 2017 endlich eröffnen kann Hartmut Mehdorn, Chef des Flughafens Berlin-Brandenburg, arbeitet noch bis Mitte Jahr daran, dass der Pannenflughafen im Herbst 2017 endlich eröffnen kann.

Die Tage von Hartmut Mehdorn als Chef der Berliner Flughäfen sind gezählt. Den Eindruck eines Managers auf Abruf macht er allerdings nicht. Mehdorn ist wild entschlossen, bis Juni alles zu tun, damit der Hauptstadtflughafen BER im Herbst 2017 eröffnen kann. Er teilt kräftig gegen die Flughafengesellschafter und den Aufsichtsrat aus – übt aber auch überraschend ehrliche Selbstkritik.

Die Welt: Herr Mehdorn, war Ihr Rücktritt vom Posten des Flughafenchefs wirklich so freiwillig, wie Sie nach Verkündung Ihrer Entscheidung erklärt haben?

Hartmut Mehdorn: Absolut, es ist so, wie ich gesagt habe. Der Aufsichtsrat hatte ganz offensichtlich kein Vertrauen mehr in mich. Mit der gut verlaufenen Aufsichtsratssitzung im Dezember hat sich dann auch ein Kreis geschlossen. Das war ein guter Zeitpunkt aufzuhören.

Die Welt: Wenn das freiwillig wäre, hätten die Flughafengesellschafter nicht schon länger einen Nachfolger gesucht.

Mehdorn: Das bestreiten die Gesellschafter. Was da wirklich gelaufen ist, ist nicht geklärt. Aber das sagt ja viel aus: Da wird über einen Nachfolger des BER-Chefs spekuliert, und da kommt keine Klarstellung, kein Dementi. Nichts. Nicht nur aus diesem Grund hatte ich ein Problem mit diesem Aufsichtsrat.

Die Welt: Vertrauen ist eine Sache von Gegenseitigkeit. Wer hat da jetzt weniger Vertrauen: Sie gegenüber dem Aufsichtsrat oder umgekehrt?

Mehdorn: Das weiß ich gar nicht. Fest steht, dass dieser Aufsichtsrat ein Trauma hat. Die Geschäftsführung unter meinem Vorgänger hat den Gesellschaftern anscheinend nicht immer die ganze Wahrheit über die Lage auf der Baustelle gesagt. Das wird zwar von den damals handelnden Personen bestritten. Dennoch, der Aufsichtsrat fühlt sich getäuscht. Und auch ich muss sagen: Die Berichte des damaligen Projektsteuerers sind wenig aussagekräftig. Sonst wäre es nicht zu dieser kurzfristigen Terminabsage im Mai 2012 gekommen.

Die Welt: Wenig aussagekräftig oder falsch?

Mehdorn: Schwer zu sagen. Ich habe wirklich Routine im Lesen von Berichten, und aus dem, was vor meiner Zeit vorgelegen hat, hätte ich keine schwere Krise und keine Gefahr für den angepeilten Eröffnungstermin herauslesen können.

Die Welt: Probleme wurden also verschleiert.

Mehdorn: Die alte Geschäftsführung hat das in eine Grauzone bugsiert, hat laviert. Bis das Ding gegen die Wand gefahren ist. Das hat viele dieser Kontrolleure tief verletzt, die stehen heute noch regelmäßig vor Untersuchungsausschüssen und müssen sich rechtfertigen. Bei allem, was sie tun, fragen sie sich, vor welchem Ausschuss sie dafür in zwei Jahren stehen werden. Das hat den Aufsichtsrat misstrauisch gemacht, und mit dieser Haltung trat dieses Gremium auch mir gegenüber. Aber es ist grundsätzlich falsch zu glauben, dass mehr Kontrolle am Ende mehr Qualität bringt.

Die Welt: Der Eindruck, dass das gesamte Flughafenmanagement überfordert ist, ist also falsch.

Mehdorn: Vollkommen falsch. Was den eigentlichen Flugbetrieb angeht, die Kernkompetenz einer Flughafengesellschaft, waren und sind wir in Berlin überdurchschnittlich gut. Bei Pünktlichkeit, Kundenzufriedenheit oder Profitabilität gehören die Berliner Flughäfen zu den besten in ganz Europa.

Die Welt: Was man in Tegel nicht unbedingt sieht. Dieser Flughafen sieht ziemlich runtergewirtschaftet aus.

Mehdorn: Aber das ist doch klar. Da wird seit Jahren kaum noch investiert, nur noch das Nötigste reingesteckt. Tegel sollte ja laut Plan schon längst geschlossen sein. Aber wir müssen ihn weiterbetreiben, weil der neue Flughafen noch nicht auf ist. Man hat vor Baubeginn entschieden, dass die Flughafengesellschaft den Bau des neuen Flughafens verantworten soll. Das ist ungefähr so, wie wenn man sagt: Du hast einen Führerschein, also bau mal ein Auto. Die Flughafengesellschaft war aber aus heutiger Sicht zum damaligen Zeitpunkt nicht in der Lage, ein solches Vorhaben zu stemmen.

Die Welt: Warum hat man dann so entschieden: Flughafen baut Flughafen?

Mehdorn: Zunächst war ein Generalunternehmer im Gespräch, unter anderem Hochtief, aber dann gab es Streit. Am Ende haben die Gesellschafter, also der Bund und die Länder Berlin und Brandenburg, gesagt: Gut, dann machen wir es eben selbst.

Die Welt: Wobei ein Generalunternehmer kein Garant für Erfolg ist, wie die Hamburger Elbphilharmonie zeigt.

Mehdorn: Richtig, alle Großprojekte hierzulande haben ein Problem mit der Terminleiste, das ist kein Problem des BER. In einem „Spiegel“-Interview hat Meinhard von Gerkan, der den Flughafen entworfen hat, gesagt, dass man Entscheider erst in den Wald lockt und dort verspricht, alles wird billig und schnell gemacht, und am Ende heißt es: April, April, nun wird es teurer und dauert länger.

Die Welt: Und weil Sie mit den Gesellschaftern nach eigenem Bekunden immer Klartext geredet haben, wurde hinter Ihrem Rücken ein Nachfolger gesucht?

Mehdorn: Ich habe das nicht erklärt. Es ist mir auch egal. In jedem Fall war es schlechter Stil. Ich habe einen Dreijahresvertrag, und ich hatte mich nicht für diesen Job gemeldet. Ich wurde gefragt und habe dreimal abgelehnt, weil ich eine andere Planung hatte. Am Ende hatten mich Manfred Stolpe, Matthias Platzeck und Klaus Wowereit überredet. Sie hätten keinen anderen, ich könnte das und wäre auch bauzig genug für eine solche Aufgabe. Und ich wollte den Flughafen ja auch fertigbauen. Aber wir haben am BER immer wieder Überraschungen gefunden, die nicht auf den ersten Blick erkennbar waren.

Die Welt: Welche Überraschungen?

Mehdorn: Überladene Kabelkanäle, eine verkorkste und zu kleine Entrauchungsanlage und der ganz normale Pfusch am Bau. Es wurde flächendeckend nicht nach Plan gebaut. Während des Baus hatte sich die Grundplanung laufend verändert. Ursprünglich sollte der Flughafen 220.000 Quadratmeter groß sein. Jetzt stehen da 360.000 Quadratmeter. Und bei diesen ständigen Erweiterungen hat man die Auswirkungen auf die komplexe Haustechnik komplett unterschätzt. Beispiel Brandschutz. Statt ursprünglich 43.000 Sprinklerdüsen sind es nun 70.000, statt 27.000 Datendosen 60.000. Die gesamte Steuerung war viel zu kompliziert und nicht alltagstauglich. Wir mussten daher entscheiden, über 90 Kilometer Kabel für eine neue Steuerung einzubauen.

Die Welt: Weil falsch geplant wurde oder weil der Brandschutz in Deutschland übertrieben ist?

Mehdorn: Klar ist so viel: Der Brandschutz in Deutschland ist weltweit einmalig. Selbst die Flughäfen München oder Frankfurt würde man heute mit ihren technischen Standards von damals nicht mehr zugelassen bekommen.

Die Welt: Aber wenigstens war deren Bau oder Ausbau kein Desaster wie in Berlin.

Mehdorn: Na, na, na. Auch beim Münchener Flughafen hat es erhebliche Verzögerungen gegeben. Die sind aber schon längst vergessen. Außerdem hat der Airport München Bayern an der Seite, Frankfurt das Land Hessen. Wir haben mit Berlin, Brandenburg und dem Bund drei Gesellschafter. Das macht es schwerer. Der BER war zunächst für 17 Millionen Passagiere pro Jahr ausgelegt, mit Baukosten von 2,4 Milliarden. Jetzt bauen wir für 27 Millionen pro Jahr zu einem Preis von 5,4 Milliarden Euro. Gemessen daran wird der BER ein preiswerter Flughafen.

Die Welt: Wie bitte?

Mehdorn: Es gibt keine Mehrkosten, es gibt mehr Airport. In den 5,4 Milliarden Euro sind zum Beispiel 730 Millionen für besseren Schallschutz eingeschlossen. 2004, als geplant wurde, war mit 140 Millionen Euro für den Schallschutz kalkuliert worden. Und gut, es entstehen am Ende höhere Kosten, weil der ursprüngliche Eröffnungstermin nicht gehalten werden konnte.

Die Welt: Was Sie erzählen, offenbart im Grunde ganz entscheidende Planungsfehler. Man hat den Flughafen schlicht viel zu klein veranschlagt. Wer ist dafür verantwortlich?

Mehdorn: Damals haben viele behauptet, die Planungen seien größenwahnsinnig. Jetzt sehen wir, dass das nicht stimmte. Aber solche Fragen klärt eine Reihe von Ausschüssen. Um Schuldfragen habe ich mich nie gekümmert. Das ist nicht meine Aufgabe. Aber klar ist, dass der Architekt in der Verantwortung steht, der Projektsteuerer und andere. Und zuletzt waren es auch unglückliche Umstände. Ich zeig Ihnen mal was.
(Mehdorn beginnt zu malen)
Weil der Flughafen größer werden sollte, wurde in das Terminal ein Zwischengeschoss eingezogen. Damit es genehmigungsrechtlich nicht zum Hochhaus mutierte, mussten die Geschosse geknautscht werden. Und weil man an der Raumhöhe der Etagen festhalten wollte, wurden die Hohlräume über der Decke, in der sich die Gebäudetechnik befindet, verkleinert. Da wurde es dann eng …

Die Welt: … und jede Änderung löste eine neue Kettenreaktion aus. Liegt das auch an der deutschen Regelungswut?

Mehdorn: Ja, das gibt es nirgendwo anders als bei uns.

Die Welt: In anderen Ländern würde das besser laufen?

Mehdorn: Es würde anders laufen. Es gibt jede Menge Sonderfälle. Brandenburg zum Beispiel hat ganz eigene Spielregeln. Im Fall der Flughäfen Frankfurt oder München ist der kleinste Raum, der für den Fall eines Brandes eine Entrauchungsanlage benötigt, 200 Quadratmeter groß. Im Fall des BER gilt das bereits für Räume mit 20 Quadratmetern – praktisch für jede Besenkammer.

Die Welt: Wie schnell haben Sie als Flughafenchef gemerkt, was da auf Sie zukommt?

Mehdorn: Am Anfang war niemand da, der mir einen Überblick vermittelte oder eine ordentliche Übergabe gemacht hätte. Ich musste mir alles mühselig erarbeiten. Die alte Geschäftsführung und der Architekt waren gefeuert worden. Dutzende Know-how-Träger hatten die Baustelle verlassen. Als ich kam, herrschte Stillstand auf der Baustelle. Die Flughafengesellschaft FBB hatte keine eigenen Baukapazitäten, also tobten hier damals 62 Ingenieurbüros rum, die sich selbst beauftragt und gesteuert haben. Die FBB konnte ihre Bauherrenfunktion gar nicht richtig ausüben. Zu diesem Zeitpunkt gab es zu viele unterschiedliche Interessen auf der Baustelle.
So sieht es auch in der Realität auf dem Hauptstadtflughafen BER aus – schließlich wird dort schon seit Jahren gebaut. Aber Flugzeuge stehen noch nicht vor dem Terminal. Ein Plugin für den Microsoft-Flugsimulator zieht die Eröffnung schon einmal vor.
Die Welt: Da konnte jeder, beispielsweise der Architekt, nach Gutdünken vor sich ihn werkeln?

Mehdorn: So war das. Daher war es möglich, dass der Architekt Meinhard von Gerkan ein Entrauchungssystem vorschlagen konnte, bei dem der Rauch in den Keller abgepumpt wird, anstatt ihn einfach nach oben abzulassen. Schornsteine auf dem Dach störten sein ästhetisches Empfinden und niemand sagte, eine Anlage die Rauch nach unten saugt, ist doch Wahnsinn. Lass das sein.

Die Welt: Und all das ist dem Aufsichtsrat nie aufgefallen?

Mehdorn: Das ist nicht seine Aufgabe. Ein Aufsichtsrat ist keine Bauaufsicht.
Die Welt: Wenn die Zustände so sind, wie Sie sagen, dann wäre doch das ganze Projekt auch mit einem Hartmut Mehdorn als Chef vom ersten Tag an nicht anders gelaufen.

Mehdorn: Hmmm …

Die Welt: Auch Sie hätten sich mit neuen Vorschriften und Planänderungen für einen noch größeren Flughafen rumschlagen müssen.

Mehdorn: Ich sage nicht, dass ich alles richtig gemacht hätte.

Die Welt: Was hätte man denn von Anfang an anders machen müssen?

Mehdorn: Ich hätte von Anfang an auf einen Generalunternehmer gesetzt. So hatten wir den Fall, dass von Gerkan als Architekt auch für die Bauüberwachung zuständig war. Idealerweise sind das zwei getrennte Posten, die sich gegenseitig kontrollieren. Das fehlte völlig.

Die Welt: Der Verzicht auf einen Generalunternehmer war doch im Grunde eine gute Idee. So sollten viele Firmen aus der Region beim Bau zum Einsatz kommen. Hochtief und andere holen ihre Baufirmen doch aus der ganzen Welt.

Mehdorn: Das war nur auf den ersten Blick eine gute Idee. Denn tatsächlich hatten sie dann hier 50 Unternehmen gleichzeitig auf der Baustelle. Das ist hochkomplex, die zu koordinieren. Allein an der Entrauchungsanlage haben acht Firmen gleichzeitig gearbeitet. Und als es dann nicht nach Plan lief, hat man von Gerkan einfach rausgeschmissen. Den hätte man trotz allem verdonnern müssen, die Baustelle fertig zu machen. Oder 2010, da hat das für die Haustechnik verantwortliche Ingenieurbüro IGK/IGR mit über 100 Leuten pleite gemacht. Die hat man einfach über die Wupper gehen lassen, anstatt sie zumindest vorerst aufzufangen, damit sie ihre Arbeit zu Ende machen können. Die Reihe der Fehleinschätzungen ließe sich beliebig verlängern.

Die Welt: Wie viel geben eigentlich Bund und Länder zum Flughafen aus eigener Kasse dazu?

Mehdorn: Bislang haben die Gesellschafter rund eine Milliarde Euro investiert. Den Rest finanziert der Flughafen selbst. Über Eigenmittel und Kredite, für die uns die Gesellschafter wiederum Bürgschaften geben.

Die Welt: Nun sind 1,1 Milliarden mehr nötig, weil Sie mehr Flughafen bauen, wie Sie sagen. Ist die Finanzierung dafür überhaupt gesichert?

Mehdorn: 4,3 Milliarden Euro waren für den Zeitraum bis Oktober 2013 veranschlagt. Die zusätzlichen 1,1 Milliarden Euro, von denen Sie sprechen, brauchen wir für die Strecke bis 2017. Wir haben jetzt einen belastbaren Terminplan und können jetzt das Notifizierungsverfahren in Brüssel machen. Den Private-Investor-Test haben wir hinter uns. Und wenn die EU, und davon gehen wir aus, bescheinigt, dass sich das alles rechnet und weiteres Geld keine Subventionen sind, bekommen wir die nötigen Bürgschaften und gehen damit zu den Banken.

Die Welt: Ist das Chaos beim BER ein Sonderfall, oder gibt es bestimmte Probleme, die bei Großprojekten in Deutschland immer wiederkehren?

Mehdorn: Jedes Großprojekt ist ein Unikat, es gibt keine Blaupausen. Grundsätzlich glaube ich, dass Deutschland Großprojekte stemmen kann. Nur eines muss man ganz klar sehen: Die ersten fünf Prozent der Laufzeit bei einem solchen Vorhaben entscheiden über Erfolg oder Scheitern. Man muss konsequent gut planen. Wer von Bremerhaven nach Helgoland will, aber vom Ablegen an einen Kurs fährt, der nur ein Grad abweicht, wird nie ankommen.

Die Welt: Wir haben jetzt viel über die Zeit Ihres Vorgängers geredet, aber was glauben Sie, welche Fehler Sie selbst gemacht haben?

Mehdorn: Ich habe in den eineinhalb Jahren, in denen ich hier bin, die Baustelle wieder in Bewegung gebracht. Wir haben die Komplexität aus den Verfahren genommen, wir haben die verkorkste Entrauchungsanlage umgeplant. Die wird jetzt funktionieren. Wir haben rund 60 neue Leute auf der Baustelle und eine komplett neue Geschäftsleitung installiert. Jetzt können wir unserer Bauherrenfunktion gerecht werden.

Die Welt: Wir hatten nach Ihren Fehlern gefragt.

Mehdorn: Gut, sicher habe ich auch Fehler gemacht. Die werden andere benennen können.

Die Welt: Anders gefragt: Was hätten Sie rückblickend anders machen sollen?

Mehdorn: Ich hätte vieles radikaler angehen müssen. Wir hatten Ingenieurfirmen an Bord, von denen ich mich sofort hätte trennen sollen. Da wäre noch viel früher ein Schnitt fällig gewesen.

Die Welt: War es ein Fehler, Tempelhof zu schließen?

Mehdorn: Ein riesiger. Die ganze Welt hat das nicht verstanden. Die nötigen Schallschutzmaßnahmen gab es ja. Die Tempelhofer haben sich nie über diesen Flughafen beschwert. Dort wäre heute Platz für Universitätseinrichtungen oder ein Olympiadorf.

Die Welt: Weil Sie Olympia ansprechen: Berlin ist ja interessiert daran, die Spiele auszutragen. Aber kann die Stadt ein solches Event überhaupt stemmen?

Mehdorn: Ja, natürlich. Ich würde die Spiele sofort nach Berlin vergeben.

Die Welt: Bei derart abschreckenden Beispielen wie dem BER oder der Staatsoper?

Mehdorn: Erstens kriegen wir diese Projekte hin. Wir können BER. Zweitens sind Olympische Spiel etwas völlig anderes als ein Flughafen-Neubau. Und ein Event wie Sportspiele kann Berlin allemal.

Die Welt: Würden Sie denn auf den Eröffnungstermin für den Flughafen im Herbst 2017 wetten?

Mehdorn: Sofort. Wenn Sie wollen, eine Kiste Dom Pérignon, Jahrgang 1978.

Die Welt: Ein guter Jahrgang?

Mehdorn: Sehr gut. Und teuer.

Die Welt: Was macht Sie so sicher?

Mehdorn: Wir haben lange gar keinen Eröffnungstermin genannt. Aber in den zurückliegenden eineinhalb Jahren ist viel passiert. Wir haben jetzt einen genauen Terminplan, der ist präzise und transparent. Und wir haben deutliche Baufortschritte gemacht. Wasser, Strom, IT-Anlage oder Sicherheitskameras, alles ist da und funktioniert. 39 der 40 Flughafengebäude sind fertig und betriebsbereit. Jetzt arbeiten wir am Hauptterminal. Aber die Restarbeit, die zu leisten ist, wird immer überschaubarer. Und wenn wir die Dimension des BER nicht noch ausweiten, werden auch die 5,4 Milliarden Euro reichen.

Die Welt: Und wenn Sie hier fertig sind, nehmen Sie sich dann das nächste Großprojekt vor?

Mehdorn: (lacht) Das weiß ich noch nicht. Noch bin ich hier.

Die Welt: Da haben Sie sich, mit über 70, noch mal voll reingekniet, alles gegeben und dann lässt Sie der Aufsichtsrat so hängen. Ist das nicht bitter?

Mehdorn: Wer mich kennt, weiß, dass ich meine Hose nicht im Knien hochziehe. Ich habe keine Magengeschwüre, ich schlafe wie ein Bär, ich fühle mich gut. Und die Entscheidung, aufzuhören, habe ich selbst gefällt.

Die Welt: Eigentlich muss man sich fragen, ob die im Aufsichtsrat nicht völlig irre sind. Sie indirekt vom Hof zu jagen und nun, in einem derart kritischen Moment einen neuen Chef zu suchen. Der muss sich erst einarbeiten, das bringt neue Unruhe, neue Verzögerungen.

Mehdorn: Ach nein. Wir haben das Management gut aufgestellt. Die Flughäfen laufen. Wir haben die Baustelle im Griff. Der Zeitpunkt für meinen Rücktritt ist gut. Das Haus ist bestellt.

Die Welt: Bleibt noch das Problem, dass der BER selbst bei einer pünktlichen Eröffnung zum veranschlagten Preis viel zu klein sein wird. Man muss also nachlegen.

Mehdorn: Es war immer klar, dass der Flughafen je nach Marktentwicklung ausgebaut werden soll. Das ist geplant und das Planfeststellungsverfahren abgeschlossen. Das ist dringend nötig. Planungsstand 2012 wurde von 27 Millionen Passagieren pro Jahr am BER ausgegangen. Wir rechnen jetzt für 2018, dem ersten vollen Jahr des laufenden Betriebs, mit 34 Millionen und 2025 mit 41 bis 44 Millionen Passagieren. Damit liegen wir weit unter Frankfurt, die wohl auf 70 Millionen kommen, werden aber wohl München überholen. Für die nächste Ausbaustufe müsste allerdings jetzt begonnen werden, die anstehenden politischen Entscheidungen zu treffen.

Die Welt: Also gibt es Entscheidungsstau – wieder mal.

Mehdorn: So würde ich das nicht sagen.

Die Welt: Wie dann?

Mehdorn: Es ist ganz klar, dass der Flughafen nicht beliebig viel Geld von der Öffentlichen Hand in Anspruch nehmen kann. Wir müssen uns also schnellstens um alternative Finanzierungsmöglichkeiten kümmern. Das ist mit dem Aufsichtsrat abgesprochen. Da sind wir dran.

Die Welt: Bedeutet das, dass man Tegel vorerst gar nicht schließen kann?

Mehdorn: Doch. Tegel muss geschlossen werden. Die Anforderungen der Europäischen Luftfahrtbehörde EASA werden immer strenger, die Prüfung 2019 würde dieser Flughafen nicht mehr bestehen.

Die Welt: Man kann ihn nicht mehr modernisieren?

Mehdorn: Man müsste ihn grundsätzlich entkernen.

Die Welt: Was ist der Hauptmakel dieses Flughafens?

Mehdorn: Da gibt es bauliche Fragen, aber auch die Tatsache, dass Tegel so gebaut wurde, dass es keine langen Wege gibt. Es gibt nicht genügend Platz für Großraumflugzeuge, die sich immer mehr am Markt durchsetzen. Es gibt kaum Flächen für wartende Passagiere – und das schließt ein Geschäft mit Läden am Flughafen so gut wie aus. Ohne diese sogenannten Non-Aviation-Umsätze kann man heute keinen Airport mehr wirtschaftlich betreiben. Großflughäfen machen mehr als die Hälfte ihres Umsatzes mit ihren Shopping Malls. Das sind Einkaufszentren mit angeschlossener Landebahn.

Die Welt: Tegel wird also dicht gemacht, weil man dort nicht shoppen kann.

Mehdorn: Wenn man zynisch ist: ja. Tegel ist zu kundenfreundlich. Auch wenn er wie ein abgenagtes Möhrchen daherkommt.

Die Welt: Sie hatten in den vergangenen 15 Jahren drei Mörderjobs: Chef der Deutschen Bahn, von Air Berlin und nun des BER und sind dort jeweils weit gekommen – aber nie bis zum eigentlichen Ziel. Ist es nicht bitter, immer Sähmann gewesen zu sein und nie voll zu ernten?

Mehdorn: Wenn Sie wollen, können Sie Airbus hinzufügen. Da war ich als junger Ingenieur dabei, Airbus zum Fliegen zu kriegen. Auch da habe ich nicht geerntet. Aber ich bin trotzdem glücklich und zufrieden. Ich kann auf vier Berufsleben zurückblicken – das ist vier Mal mehr als die meisten anderen Menschen.

Quelle: http://www.welt.de/wirtschaft/article136791669/Ich-wette-eine-Kiste-Dom-Perignon-Jahrgang-1978.html

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