Bundesverwaltungsgericht prüft den Schutz gegen Fluglärm

PRESSEMITTEILUNG vom 23. November 2020, Seite 1 von 3

BVerwG 4 C 7.18, Leipzig 3. Dez. 2020 Bundesverwaltungsgericht prüft den Schutz gegen Fluglärm

Wird die 2. Fluglärmschutzverordnung (FLSV) für nichtig erklärt?

Wurden die Dämmungen der Häuser im Umfeld der deutschen Flughäfen falsch berechnet?

Ist eine Lüftungsplanung für jedes Wohnhaus geboten?

Das Bundesverwaltungsgericht verhandelt am Donnerstag, den 3. Dezember 2020 über die Klagen von drei Flughafen – Anliegern gegen den aus ihrer Sicht mangelhaften Schallschutz. Die öffentliche Verhandlung beginnt um 10:00 Uhr im großen Sitzungssaal des Gerichts in Leipzig (Simsonplatz 1, 04107 Leipzig). Zur Entscheidung stehen die Verwaltungsklagen aus 2013 von Wohnhauseigentümern unter den Einflugschneisen des Verkehrsflughafens in Frankfurt Sachsenhausen, Neu-Isenburg und Rüsselsheim. Ein etwaiger Prozesserfolg wird jedoch Wirkungen auf den Schallschutz im Umfeld aller deutschen Flughäfen haben.

Die Kläger fordern über die ihnen zugesicherte Kostenerstattung für den Einbau von einfachen Lüftern (reine Zuluftgeräte ohne geregelte Abluft) in den Schlafräumen hinaus weitergehende Maßnahmen des Schallschutzes. Nach Bewertung von Klaus Rehnig, Sprecher des Vereins stopfluglaerm.de e. V., sichert das derzeit praktizierte Schutzniveau angesichts der Belastung mit Fluglärm in den Wohnräumen keine gesunden Wohnverhältnisse und ermöglicht in den Schlafräumen keinen durch Fluglärm störungsfreien Schlaf. Das hat, so Rehnig, „die Folge, dass zehntausenden Anliegern des Verkehrsflughafens nach den Erkenntnissen der WHO (Environmental Noise Guidelines 2019) längerfristig Risiken einer Erkrankung an Bluthochdruck oder Herz-Kreislaufbeschwerden als Folge des Fluglärms drohen. Solche Innenpegel sind gesundheitsgefährdend und damit verfassungswidrig.“

Nur etwa die Hälfte der Anlieger des Flughafens haben bislang mit Blick auf die von Rehnig „als dürftig empfundenen und als unzureichend bewerteten“ Schallschutzmaßnahmen ihre bis Oktober 2021 befristeten Ansprüche beim zuständigen Regierungspräsidium Darmstadt geltend gemacht. Denn in den weitaus meisten Fällen beschränken sich die Zusicherungen der Behörde auf den Einbau von Lüftern, die den Standards der Lüftungsnormen widersprechen und keine Wärmerückgewinnung vorsehen, für den jeweiligen Schlafraum mit Kosten in Höhe von ca. 400 €. Dies folgt aus Vorgaben der 2. Fluglärmschutzverordnung – FlugLSV -, die das Schutzniveau von Wohngebäuden des Bestandes um 3 dB geringer ansetzt als jenes von Neubauten. Einen verstärkten Schutz gegenüber den durch die tiefen Frequenzen besonders störenden Fluglärm durch einen höheren Schutz von 9 dB verweigert das FlugLSG und hat den Teilnehmern an einem früheren Schallschutzprogramm der Fraport AG einen Abschlag von 8 dB auferlegt.

Die Zahl der durch Fluglärm in der Wohnnutzung wesentlich beeinträchtigten Wohneinheiten in der Tagschutzzone I am Frankfurter Flughafen beträgt »ca. 12.500 Wohneinheiten; in der Nachtschutzzone befinden sich zudem ca. weitere 69.500 Wohneinheiten«. Das Umweltbundesamt (UBA) stellte, so der als Sachverständige in dem Revisionsverfahren zugezogenen ehemaligen Stadtplanungsamtsleiter Bock, »in der Evaluation der rechtlichen Regelungen zum Fluglärmschutz 2016 fest, dass der Frankfurter Flughafen nur einen Bruchteil (ca. 19 Million € direkt aufgrund des Fluglärmschutzgesetzes) von den im Rahmen der Gesetzesaufstellung im Jahr 2005 von ihm selbst kalkulierte Kostenansatz (ca. 330 Millionen €) für Schutzmaßnahmen bereitgestellt hat.« Die UBA Evaluation zur 2. FLSV sollte im Weiteren mit den UBA Texten 35/2018 zur Weiterentwicklung der rechtlichen Regelungen zum Schutz vor Fluglärm in die nach § 2 Abs. 3 FluglärmG vorgesehene Berichterstattung der Bundesregierung einfließen, was jedoch im Wesentlichen in dieser Legislaturperiode unterblieben ist. Die Vollzugserfahrung in Hessen (lt. Stellungnahme Land Hessen v. 08.06.2018 zeigt auf, dass Lärmwirkungsforschung und Technik es erfordern, das Fluglärmgesetz schnell an aktuelle Erkenntnisse anzupassen.

Zusätzlich zu dem Beitrag des Flughafens hat das Land Hessen mit dem Regionalfondsgesetz ca. 36,4 Millionen € für baulichen Schallschutz bereitgestellt, um damit insbesondere die in der Verordnung erst mit 6 Jahren Zeitverzögerung vorgesehenen Schutzmaßnahmen vorzeitig zu ermöglichen.

Das Niveau des Fluglärmschutzes nach der 2. FlugLSV und dem Fluglärmgesetz 2007 bleibt nach der Untersuchung durch Eckhard Bock »wesentlich hinter dem Schutzmaßstab für die zuvor planfestgestellten Neubauten des Flughafens München im Jahr 1990 und des Schallschutzprogrammes am Flughafen Schönefeld (BER) zurück. In Berlin wurde das Kriterium festgelegt, dass ein Maximalpegel im Rauminneren am Ohr des Schläfers von 55 dB (A) auch in den 6 verkehrsreichen Monaten nur einmal überschritten werden darf.«

Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hatte die drei Klagen jeweils abgewiesen, aber die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen, weil die sich hier stellenden Fragen zur Verfassungsmäßigkeit und Anwendung der Vorschriften der Flugplatz – Schallschutzmaßnahmenverordnung (2. FlugLSV) in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts noch nicht geklärt sind.

Das Bundesverwaltungsgericht wird in den Verfahren zu entscheiden haben, ob sich die den Schallschutz beschränkenden Regelungen der 2. FlugLSV auf das Fluglärmschutzgesetz als verfassungsrechtlich hinreichende Ermächtigungsgrundlage stützen könnten. Die von dem Frankfurter Verein stop-fluglaerm.de e. V. unterstützte Klägerin aus Sachsenhausen vertritt durch ihren Rechtsanwalt Matthias Möller die Rechtsansicht, die Vorschriften der 2. FlugLSV würden zu Unrecht eine Minderung der erforderlichen Schalldämm-Maße um 3 dB für Wohngebäude des Bestandes im Vergleich zu Neubauten und von 8 dB für solche bereits nach einem früheren freiwilligen Schallschutzprogramm ertüchtigte Gebäude zugrunde legen und seien deshalb unwirksam. Die 2. FlugLSV weiche ohne eine solche Entscheidung des Gesetzgebers von den Vorgaben des Fluglärmschutzgesetzes ab, weshalb es an einer verfassungsrechtlichen Ermächtigungsgrundlage dafür fehle. Dies ergebe auch eine Auslegung der Vorschrift nach deren Wortlaut und Systematik sowie der Entstehungsgeschichte. Eine eigenständige Ermächtigungsgrundlage in Bezug auf Bestandsgebäude lasse das Fluglärmgesetz nicht erkennen.

Dass es für diese Abschläge an einer Ermächtigungsgrundlage fehle, ergebe sich auch aus der Vollzugspraxis in der Zeit zwischen 1971 und 2007. Es habe nämlich Einigkeit darüber bestanden, dass die damals geltende Verordnung über bauliche Schallschutzmaßnahmen vom 5. April 1974 zwar unmittelbar nur die notwendigen baulichen Schallschutzmaßnahmen bei der Errichtung von Wohnungen und schutzbedürftigen Einrichtungen geregelt habe, dass sie unmittelbar aber auch Bedeutung für den Anspruch auf Aufwendungsersatz beim nachträglichen Einbau von baulichen Schallschutzmaßnahmen an bestehenden Gebäuden gehabt habe. Schallschutz sei damit grundsätzlich nach den Maßstäben für Neubauten zu dimensionieren. Diese Ansicht werde auch von der Kommentarliteratur vertreten und von der amtlichen Begründung bestätigt.

Jedenfalls aber hielten sich die Abschläge von 3 bzw. 8 dB für Gebäude des Bestandes nicht mehr im Rahmen der Verordnung nach § 7 FluglärmG. Da die gesetzgeberische Intention darin bestanden habe, den Lärmschutz zugunsten der Betroffenen deutlich zu verbessern, dürfen keine Verschlechterung gegenüber der früheren Schallschutzverordnung von 1974 eintreten. Dies habe ausgehend von den zwei Schutzzonen der früheren Fassung des Fluglärmgesetzes erforderliche Bauschalldämm – Maße von mindestens 50 dB in der Schutzzone 1 mit einem Grenzwert von über 75 dB (A) bzw. mindestens 45 dB in der Schutzzone 2 mit einem Grenzwert von über 67 dB (A) vorgesehen. Schon der in der 2. FlugLSV grundsätzlich vorgesehene Innenpegel von ermittelt 37 dB (A) bleibt dahinter zurück und entspreche auch nicht den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Die Regelung beinhalte zugleich eine Verschlechterung gegenüber der als Stand der Schallschutztechnik im Hochbau anzusehenden DIN 4109, die bei einem Außenpegel von 68 dB (A) ebenfalls ein Schalldämm – Maß von 45 dB verlange; dies gelte erst recht im Fall der Anwendbarkeit der Abschläge.

Auch die Tatsache, dass die nach § 5 Abs. 2 und Abs. 3 der 2. FlugLSV erreichbaren Innenpegel für die zur Tagzeit genutzten Aufenthaltsräume einerseits und die Schlafräume andererseits trotz evident unterschiedlicher Schutzbedürftigkeit nur um 2 dB – statt der für den Schutz gegenüber Straßen- und Eisenbahnlärm üblichen Differenz von 10 dB – auseinanderfallen würden, belege den unzureichenden Schallschutz gegenüber Fluglärm.

Da durch die angegriffenen Regelungen die Möglichkeit einer einzelfallbezogenen Prüfung abgeschnitten werde, verstoße die 2. FlugLSV auch materiell-rechtlich gegen die Vorgaben des Fluglärmschutzgesetzes.

Die Schalldämmung von Bauteilen wird wesentlich davon bestimmt, welche Frequenzanteile der auf sie eintreffende Außenlärm besitzt. Tieffrequenter Lärm mit Frequenzen unter 125 Hz wird als besonders störend empfunden. Nach dem in der VDI Richtlinie 2719 dokumentierten Stand der Technik und der Schallschutzpraxis für die Verkehrsflughäfen Hamburg, Schönefeld und Leipzig erfordert der Schutz gegen tieffrequenten Fluglärm ein um 9 dB höheres Schutzniveau. Das Land Hessen lehnt durch das Regierungspräsidium Darmstadt die Anwendung dieses Standes der Technik unter Verweis auf die restriktiven Regelungen der 2. FlugLSV ab.

Rechtsanwalt Möller stützt die Revision der Anwohnerinnen aus Sachsenhausen weiterhin auf den Willen des Gesetzgebers in § 13 FluglärmG, dass durch die gesetzliche Neuregelung des Fluglärmschutzes im Jahr 2007 das zuvor – etwa in den Bescheiden des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung vom 26. April 2001 und vom 25. November 2002 (Posch-Bescheide) – geregelte Schutzniveau explizit nicht verschlechtert werden sollte. Hier wird das Bundesverwaltungsgericht zu entscheiden haben, ob der Planfeststellungsbeschluss für den Ausbau des Flughafens vom 18. Dezember 2007 dieses Schutzniveau durch eine neue Betriebsregelung für den Flughafen stillschweigend und heimlich außer Kraft gesetzt hat.

In dem vom Verein stop-fluglaerm.de e. V. unterstützten Frankfurter Revisionsverfahren wird das Bundesverwaltungsgericht weiterhin zu entscheiden haben, ob das resultierende BauschalldämmMaß durch Belüftungseinrichtungen gemindert werden darf und ob die Anlieger Anspruch auf Vorlage einer fach- und sachgerechten Lüftungsplanung sowie auf Erstattung der Aufwendungen für dem aktuellen Stand der Technik entsprechende Zu- und Abluftgeräte haben.

Das mit der Revision angegriffene Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 23. Januar 2018 (Az. 9 C 1852/14.T) kann im Verein und in der Rechtsanwaltskanzlei angefordert werden.

Rückfragen der Presse an Klaus Rehnig, stop-fluglaerm.de e.V. (Telefon 0171/7780931) und Rechtsanwalt Matthias Möller (Telefon 0174 3022579).

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