Aufsichtsratschef wusste über Fehlentwicklungen im Terminal bescheid

§_RECHT_Mario_HausmannAuf Antrag der PNN hat das Landgericht Berlin das Urteil in der Entschädigungsklage von Ex-BER-Chef Schwarz freigegeben. Es zeigt detailliert, dass der Aufsichtsrat die Terminprobleme 2012 kannte

Trotz des milliardenschweren Fiaskos um die Airport-Baustelle in Schönefeld muss der Flughafen an den langjährigen Ex-Geschäftsführer Rainer Schwarz noch rund 1,14 Millionen Euro zahlen. Bis zum regulären Ende seines Vertrages im Mai 2016. Das hat das Landgericht Berlin am 23. Oktober entschieden und die mit Pflichtverletzungen des 57-Jährigen im Zusammenhang mit der verschobenen BER-Eröffnung begründete außerordentliche Kündigung für unwirksam erklärt. Jetzt liegt das Urteil mit seiner ausführlichen Begründung vor. Auf Antrag der PNN ist es vom Gericht für die Öffentlichkeit herausgegeben worden, obwohl die Flughafengesellschaft eine Einstufung als vertraulich erreichen wollte. Und im Wortlaut, in den Details hat das 27-Seiten-Urteil zusätzliche Brisanz – auch für das aktuelle Verhältnis von Aufsichtsrat und BER-Chef Hartmut Mehdorn. Eine Dokumentation.

Warum wurde die Kündigung kassiert?
Die Kammer für Handelssachen des Landgerichts hat die Umstände vor der kurzfristigen Absage der für den 3.Juni 2012 geplanten BER-Eröffnung rekonstruiert. Nach dem Urteil kann der damalige Flughafenchef Rainer Schwarz dafür nicht zum alleinigen Sündenbock gemacht werden. Beim Rausschmiss hatte der Flughafen dem 57-Jährigen auch weder die Verschiebung an sich noch die Fehlentwicklungen im Terminal angelastet – sondern allein „die Verletzung von Informationspflichten gegenüber dem Aufsichtsrat“ vor der Termin-Absage am 8. Mai 2012. Das Gericht sieht dagegen keine Pflichtverletzung, weil das von Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) geführte Aufsichtsgremium nämlich frühzeitig im Bilde war: „Dem Aufsichtsrat, insbesondere ihrem Vorsitzenden, war bereits mehrere Monate vor der Absage des Termins bekannt, dass die Gebäude nur mit der Behelfslösung ,Mensch-Maschine-Kopplung‘ würde in Betrieb genommen werden können.“ Mit Hilfskräften, die im Brandfall die Türen öffnen – sonst nicht. Spätestens seit Februar 2012 sei für Geschäftsführung und Aufsichtsrat klar gewesen, dass ein vollautomatischer Betrieb der Entrauchungsanlage nicht möglich sein wird und für die Notlösung „ein signifikantes Genehmigungsrisiko“ besteht. Im Prozess ging es in dem Zusammenhang auch um Warn-Schreiben der Unternehmensberatung Mc Kinsey und des Flughafen Münchens vom 13., 14. und 15. März 2012. Beide waren mit dem Probebetrieb am BER betraut, bei dem deutlich wurde, dass der Eröffnungstermin am 3. Juni 2012 stark gefährdet sei. Konkret zitiert das Gericht in seinem Urteil aus der E-Mail eines Wowereit-Mitarbeiters vom 22. März 2012, in der dieser auf die telefonische Bitte von Schwarz um ein Gespräch mit dem Regierenden und dem Aufsichtsratsvorsitzenden „bereits von sich aus wusste“, dass es „vor allem auch um das Halten des Fertigstellungstermins“ gehen würde. „In dieser Mail seines eigenen Mitarbeiters spiegelt sich der Kenntnishorizont des Aufsichtsratsvorsitzenden jedenfalls insoweit wieder, dass dort die Einhaltbarkeit des Fertigstellungstermins aufgrund des aktuellen Baufortschritts als problematisch erkannt war“, heißt es im Urteil. Dem Aufsichtsrat sei bekannt gewesen, dass der Flughafen „mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, um den Termin zu halten“. Das Gespräch von Wowereit mit Schwarz fand trotzdem, umso merkwürdiger, erst zwei Wochen später statt. Im Prozess hat Schwarz ausgesagt, dass er Wowereit in dem Krisengespräch am 30. März 2012 über die Warn-Schreiben mündlich informiert hat – im Abgeordnetenhaus hatte er am 18. Mai 2012 noch das Gegenteil erklärt. Nach der Absage hatten Wowereit und sein brandenburgischer Amtskollege Matthias Platzeck (SPD) erklärt, vom Ausmaß der Technikprobleme am neuen Flughafen und dem Scheitern des Termins überrascht worden zu sein.

Ist der Aufsichtsrat mitverantwortlich, dass an Schwarz jetzt über eine Million Euro gezahlt werden muss?
Ja, überhaupt wirft das Urteil auch ein Schlaglicht auf das verunglückte Krisenmanagement des Aufsichtsrates und der Flughafeneigner Berlin, Brandenburg und Bund nach der abgesagten Eröffnung. Für das Gericht entscheidend ist, dass eine entscheidende Frist versäumt wurde, um Schwarz erfolgreich zu kündigen. Zur Sitzung am 1. November 2012 lagen dem Aufsichtsrat unter Vorsitz Wowereits nämlich die Warn-Schreiben von Mc Kinsey und des Flughafens München zur gefährdeten BER-Eröffnung vom März 2012 vor. „Eine Kündigung, die sich auf diese Dokumente stützt, hätte bis 15.November 2012 erklärt werden müssen“, heißt es im Urteil. Tatsächlich wurde Schwarz aber erst im Juni 2013 gekündigt, ein Jahr nach der Absage. Aufsichtsratschef war zu diesem Zeitpunkt Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD), vorher Stellvertreter Wowereits. Da war es zu spät. Auch für die vorschnelle Verkündung eines neuen BER-Eröffnungstermins – am 16. Mai wurde der 27. März 2013 bekannt gegeben –, die der Flughafen allein Schwarz anlastet, sieht das Gericht die Verantwortung eher beim Aufsichtsrat und der Politik. Dieser Termin auf Vorschlag von Schwarz, so das Urteil, sei „nur eine Woche nach der Absage des vorherigen Termins, auf das Drängen des Aufsichtsrates und offensichtlich zur Besänftigung der öffentlichen Meinung verkündet worden“. Dabei habe der Aufsichtsrat – nach einer Sitzung des Projektausschusses unter Anwesenheit von Wowereit – gewusst, dass von den am BER beteiligten Firmen keine verbindliche Planung zugesichert werden konnte und vorher „zentrale organisatorische Verbesserungen“ angemahnt wurden. Damit sei klar gewesen, dass der neue Termin „mit erheblichen Unsicherheiten behaftet“ sein musste. Daher habe der Aufsichtsrat damit rechnen müssen, dass sich der neue Termin als nicht belastbar erweisen würde.

Wo sieht das Landgericht Ursachen für das Fiasko um den neuen Flughafen?
Der Prozess drehte sich um die letzten Monate vor der abgesagten Eröffnung im Mai 2012. Da war es schon zu spät. „Aus heutiger Sicht muss es als ausgeschlossen gelten, dass es Anfang 2012 objektiv noch möglich war, die Flughafengebäude bis zur geplanten Eröffnung am 3. Juni 2012 oder auch bis zum Ersatztermin insoweit fertig zu stellen, dass sie hätten in Betrieb genommen werden können“, lautet ein Fazit im Urteil. So sei bis zum heutigen Tage nicht einmal ein neuer Ersatztermin angesetzt, geschweige denn eingehalten worden. „Die Weichenstellungen, dass es so weit kam, waren zu einem früheren Zeitpunkt vorgenommen worden, zu den Verantwortlichkeiten wird nichts Näheres vorgetragen.“ Das Gericht schlussfolgert daraus allerdings, dass Schwarz für diese Vorgeschichte „nicht verantwortlich gemacht werden kann“. Das mag juristisch so sein, logisch ist das nicht. Er war Sprecher der Flughafengeschäftsführung seit dem 9. Dezember 2005 – und damit in der entscheidenden Phase der Fehlentwicklungen, Fehl- und Umplanungen im Terminal, bei denen das „Monster“ der Entrauchungsanlage – Schwarz selbst sprach einmal von „Mutationen“ – außer Kontrolle geriet. Aktuell kann der Flughafen noch nicht einmal einen verlässlichen Termin nennen, wann die Anlage funktioniert. Realistisch ist, dass der Flughafen frühestens 2017 eröffnen kann – das wäre fünf Jahre nach der damaligen Absage.
Wie sieht das Gericht das Verhältnis von Flughafen-Aufsichtsrat und Geschäftsführung?
Diese Passagen sind gerade vor der Aufsichtsratssitzung am 12. Dezember und den anhaltenden Spannungen zwischen Flughafenchef Hartmut Mehdorn und seinen Kontrolleuren hoch aktuell. Mehdorn beklagt ja schon länger, dass sich der Aufsichtsrat zu sehr ins operative Geschäft einmische, sich aus den Erfahrungen der BER-Vorgeschichte eine „Misstrauenskultur“ gegenüber dem Management entwickelt habe. Das Urteil stärkt – indirekt – seine Position. Zwar ist es auch für das Gericht selbstverständlich, dass die Geschäftsführung den Aufsichtsrat aus wichtigem Anlass über neue Entwicklungen zu informieren hat. Dies sei aber „nicht jede kritische Äußerung“ eines Beteiligten, eines Behördenvertreters. „Es gilt sogar umgekehrt, dass die Mitteilung eines jeden Detailproblems oder einer jeden kritischen Einschätzung an den Aufsichtsrat den Blick für das Wesentliche vermissen lassen würde“, heißt es im Urteil. „Solange zu erwarten steht, dass ein sich neu auftuendes Problem gelöst werden kann oder sich ein bereits bekanntes Problem gegenüber der bisherigen Situation jedenfalls nicht verschärft hat, stellt sie daher keinen wichtigen Anlass für die umgehende Information an den Aufsichtsrat dar.“

Hat das Urteil Folgen für Schadenersatzprozesse gegen den Flughafen?
Ja, denn das Gericht kommt zum Schluss, dass Schwarz die BER-Eröffnung nicht vor dem 7. Mai 2012, also früher, hätte absagen müssen. Er habe keine Sorgfaltspflichten verletzt und „in der Wahl zwischen zwei problematischen Alternativen“ im vertretbaren Ermessen gehandelt, als er mit Behelfslösungen alles versuchte, um den Termin zu retten, heißt es. „Die Wahrscheinlichkeit für diesen Erfolg mag deutlich unter 50 Prozent gelegen haben, aber es war immerhin eine Chance, die es auszunutzen gilt, wenn der Preis dafür vertretbar ist.“ Wäre das Gericht zu einer anderen Abwägung gekommen, hätten sich alle Schadenersatzforderungen von Airlines, Gewerbemietern und anderen Betroffenen darauf stützen können. Dieser Ausgang kommt Hartmut Mehdorn zugute. Das Risiko, dass der Flughafen in Größenordnungen Schadenersatz zahlen muss, wird nun noch geringer. Schon jetzt haben sich die anfänglichen Befürchtungen nicht bestätigt. In den 1,2 Milliarden Euro, die der Aufsichtsrat Ende 2012 bewilligt hatte, waren rund 240 Millionen Euro einkalkuliert. Geflossen ist bisher ein einstelliger Millionenbetrag. Selbst die Fluggesellschaft Air Berlin, die zunächst 40 Millionen Euro wollte, akzeptierte einen Vergleich über zwei Millionen Euro. Schon vor dem Schwarz-Urteil hatte der Flughafen intern das Schadenersatzrisiko auf 34 Millionen Euro nach unten korrigiert. Das wird noch weniger.

Wie geht es weiter?
Das Urteil ist nach Auskunft des Gerichtes noch nicht rechtskräftig. Es ist durchaus möglich, dass der Flughafen auf Drängen der Gesellschafter und der eingeschalteten Spitzenanwälte in Berufung geht. Die Entscheidung werde voraussichtlich in Vorbereitung oder in der Aufsichtsratssitzung am 12. Dezember fallen, heißt es. Die Kosten für Gutachten und die Anwälte sind allerdings schon jetzt höher als die 1,134 Millionen Euro, die Ex-Geschäftsführer Schwarz „im ungekündigten Zustand“ noch bekäme. Fest steht, der neue Hauptstadtflughafen wird noch nicht eröffnet sein, wenn der Vertrag am 31. Mai 2016 regulär ausläuft. Und nach dem Vertrag hat Schwarz zudem Anspruch auf ein Ruhegeld, auf eine Altersversorgung, für die der Flughafen – neben dem Managersalär von 27 500 Euro Brutto und 1763,35 Euro als Gegenwert für den Dienstwagen – monatlich 17 457,73 Euro an die Unterstützungskasse abzuführen hat. Das Geld erhält Schwarz nach Vollendung seines 65. Lebensjahrs, ab 2022. Vielleicht ist der Flughafen dann eröffnet. Arbeitslos ist Schwarz bis dahin nicht. Am heutigen Montag tritt er seine neue Tätigkeit als Geschäftsführer des Flughafens Rostock-Laage an.
Erschienen am 01.12.2014 auf Seite 12

Quelle: http://www.pnn.de/brandenburg-berlin/915335/

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