BER – Lärmschutz: „ Hier wird die Oma über den Tisch gezogen“

In knapp einhundert Tagen wird der künftige Hauptstadtflughafen eröffnet. Doch bei der Umsetzung der Schallschutzmaßnahmen ist mächtig viel Sand in das Getriebe der Flughafengesellschaft geraten. Über die Probleme mit dem Lärmschutz sprach Der Schulzendorfer mit Christine Dorn und Jörg Pohland. Beide engagieren sich im Bürgerdialog BBI 21, in dem insgesamt 16 Bürgerinitiativen zusammengeschlossen sind.

Frau Dorn, wo liegen die Hauptprobleme bei der Umsetzung des Schallschutzes?

Christine Dorn: Der Hauptkonfliktpunkt ist folgender: In der Verfügung zum Planfeststellungsbeschluss aus dem Jahre 2004 ist schwarz auf weiß geregelt, dass im Rauminnern KEIN Maximalpegel über 55 dB (A) auftreten darf.  Die Flughafen Berlin Brandenburg GmbH (FBB) versucht nun diese Regelung aufzuweichen. Bei ihren Berechnungen der Schallschutzmaßnahmen geht sie davon aus, dass der festgelegte Maximalpegel von 55 dB (A) sechsmal pro Tag überschritten wird. Das hat zur Folge, dass Betroffene in unmittelbarer Nähe des Flughafens weniger Schallschutzmaßnahmen erhalten, als ihnen eigentlich zusteht.

Können Sie konkrete Beispiele für diese Folgen benennen?

Jörg Pohland: Im Ortsteil Eichberg in  Schulzendorf erhält beispielsweise ein Haus, das direkt überflogen wird, einen Lüfter und ein Schallschutzfenster, das war es dann mit dem Lärmschutz.

Christine Dorn:  Eine Bohnsdorferin, die im Entschädigungsgebiet Außenwohnbereich, also der schlimmsten Zone lebt, bekommt einen Schalldämmlüfter und gar kein Schallschutzfenster. Jeder Brandenburger Landtagsabgeordnete bildet sich ein, dass alle Bohnsdorfer oder Schulzendorfer, die am Eichberg wohnen und besonders stark vom Fluglärm betroffen sein werden, niegelnagelneue Schallschutzfenster bekommen. Die bekommen sie aber nicht. Hier wird die Oma über den Tisch gezogen.

Und was sagt das die Oberste Planfeststellungsbehörde, das Brandenburger Ministerium  für Infrastruktur und Landwirtschaft (MIL) dazu?

Christine Dorn: Der Flughafen hat im Mai 2011 der Landesregierung bekannt gegeben, wie er den Schallschutz berechnet. Spätestens seit diesem Zeitpunkt wusste die Brandenburger Landesregierung bescheid. Sie brauchte dann 7 Monate Zeit um der FBB einen Brief zu schreiben, in dem sie der Flughafengesellschaft aufgab sicherzustellen, dass in den sechs verkehrsreichsten Monaten durchschnittlich weniger als einmal pro Tag ein Maximalpegel von 55 dB (A) im Rauminnern auftritt. Doch die Landesregierung kontrolliert die Festlegungen und deren Umsetzung nicht konsequent genug.

Die Flughafengesellschaft will nun beim MIL  den Planfeststellungsbeschluss „klarstellen“ lassen. Was soll damit bezweckt werden?

Christine Dorn: Ganz einfach, man will das Lärmschutzniveau, das von der Behörde 2004 selbst festgelegt wurde, zu Ungunsten der Bürger aufweichen. Dafür fehlt mir jedes Verständnis. Ich verstehe die Bürger, die dagegen gerichtlich vorgehen wollen. Herr Schwarz meinte jüngst, dass wenn die Planfeststellungsbehörde auf ihrer Position beharrt, rund 5.000 bis 6.000 Wohneinheiten nicht im geplanten Kostenrahmen mit Schallschutzmaßnahmen ausgestattet werden können. Man kann aber nicht die Probleme auf dem Rücken der Betroffenen austragen, nur weil der Flughafen einen ungeeigneten Standort gewählt hat.

Jörg Pohland: Herr Schwarz argumentiert, dass an anderen Großflughäfen auch Überschreitungen des Maximalpegels möglich seien. Er vergisst dabei jedoch, dass die Umfeldsituationen an diesen Flughäfen völlig anders sind.

Darf der Flughafen angesichts des gegenwärtigen Standes bei der Umsetzung der Schallschutzmaßnahmen überhaupt in Betrieb gehen?

Christine Dorn: In der geplanten Art und Weise nicht. Es ist eine Schande, dass die Behörden nicht von sich aus die Notbremse ziehen und sagen, unter den gegebenen Umständen müssen Übergangslösungen geschaffen werden. Die können allerdings nicht so aussehen, dass die Flughafengesellschaft immer den roten Teppich ausgerollt bekommt und die Bürger nehmen müssen, was übrig bleibt.

Was konkret muss geschehen, wie sollen diese Übergangslösungen aussehen?

Christine Dorn: Damit das Realität wird, was Ministerpräsident Matthias Platzeck immer propagiert, nämlich dass Lärmschutz Priorität erhalten muss, ist unabdingbar, dass die Bürger korrigierte Kostenerstattungsvereinbarungen bekommen. Dann können sie die auch unterschreiben, so dass die Schallschutzmaßnahmen umgesetzt werden können.

Wenn der Schallschutz für den Tag nicht umgesetzt wird, dann entsteht eine Belästigung, die so nicht vorgesehen war. Für diese nicht geplante Belästigung, welche die Bürger nicht zu verschulden haben, muss die Flughafengesellschaft eine Lärmrente zahlen. Das kann auch kein Einmalbetrag  sondern muss ein monatlicher Betrag sein.

Und in der Nacht ?

Christine Dorn: Ohne den gewährten Schallschutz darf  es nicht möglich sein, den Flughafen mit dem gewünschten Nachtflugbetrieb zu betreiben. Die Planfeststellungsbehörde muss einen Teilwiderruf des Planfeststellungsbeschlusses veranlassen. Denn wenn notwendige Schutzauflagen nicht umgesetzt werden ist ein strenges Nachtflugverbot unabdingbar.

Für wie realistisch halten Sie die Umsetzung Ihrer Forderungen?

Christine Dorn: Es gibt derzeit keine Anzeichen, dass sich alle Beteiligten, also Planfeststellungsbehörde, Flughafengesellschaft und betroffene Bürger, zusammensetzen und eine einvernehmliche Lösung erarbeiten. Deshalb sehe ich nur den Klageweg.

Die Flughafengesellschaft moniert, dass die Kostenerstattungsvereinbarungen von den Bürgern nur zögerlich zurückgesandt werden, weshalb es auch zu Defiziten bei der Umsetzung des Schallschutzprogramms kommt. Teilen Sie diese Sicht?


Christine Dorn: Man kann den unzureichenden Stand der Umsetzung des Schallschutzprogramms nicht den Bürgern in die Schuhe schieben. Seit Jahren wussten alle Verantwortliche um die Bedeutung des Schallschutzes. Dann hätte man beizeiten mit einer ausreichenden Anzahl von Arbeitskräften anfangen müssen, dann wäre die entstandene Situation zu vermeiden gewesen. Der Flughafen hat hier eindeutig etwas falsch gemacht, die Bürger können deshalb nicht die Leidtragenden sein.

Jörg Pohland: Eine Bohnsdorferin hat am 10. Dezember 2007 ihren Antrag gestellt erst reichlich drei Jahre später erhielt sie eine Kostenerstattungsvereinbarung.  Das ist kein Einzelfall. In Schulzendorf hat ein Eigentümer im April 2008 einen Antrag auf Schallschutz gestellt, im Februar 2012, nach fast vier Jahren erhielt er seine Kostenerstattungsvereinbarung.

Wie schätzen Sie das Wirken der Bürgermeister der Schutzgemeinschaft für einen ausreichenden Schallschutz ein?

Christine Dorn: Die Bürgermeister der Umlandgemeinden haben viele Jahre tapfer gewirkt, ich kann mich an die Statements von Dr. Burmeister erinnern, er hat wirklich an erster Front gekämpft. Gegenwärtig sind immer mehr Tendenzen des Arrangements erkennbar, wo einige sagen, ja, wir müssen uns mit bestimmten Dingen abfinden. Deshalb bin ich froh, dass Schulzendorf endlich mal mit dem Schreiben an Brandenburgs Politiker Flagge gezeigt hat. In Eichwalde hat man das leider nicht geschafft. Erst jüngst meinte ihr Bürgermeister Bernd Speer, man müsse jetzt abwarten, was aus den Versprechungen von Matthias Platzeck wird. Der Ministerpräsident hatte zugesagt sich für die Forcierung der Umsetzung des Schallschutzes einzusetzen. Ich denke Abwarten ist eine sehr schlechte Option.

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Eine Antwort auf BER – Lärmschutz: „ Hier wird die Oma über den Tisch gezogen“

  1. Fam. Wegner - Mahlow sagt:

    Wir haben unseren Vertrag auch Jan. 08 unterschrieben. Einige Fenster haben wir nach viel Druck und vielen Briefen an Wowereit/Platzeck etc. bekommen. Wir wohnen direkt in der Einflugschneise, 200 m über uns die Flugzeuge. Unser jetztiger Pegel ist nach dem Einbau über 63 db – bei jeder Maschine und nicht bei 0 oder 1 oder 5 x am Tag.
    Was machen sie denn mit uns? Abkaufen meint der Flughafen – geht gar nicht! Nachbessern auch nicht. Betrogen wurden wir aber trotzdem.

    Die Bürger hier haben von diesem Flughafen-Betrug die Nase voll. Man kann einen Flughafen nicht ohne Schutz eröffnen. Der Flughafen hat ja immer betrogen und dann immer ein Stück Wahrheit mehr rausgerückt. Aber wir, wir dürfen nicht betrügen, müssen alles hinnehmen….

    Der Flughafen ist der Staat und beide betrügen uns.
    Wo ist hier das Grundgesetz? Gilt es hier nicht? Müssen sich Politiker nicht ans Grundgesetz halten?

    Fam. Wegner – Mahlow.

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