Brandenburger CDU zweifelt am Flughafen-Standort

Von Gerold Büchner und Peter Neumann
Potsdam – Die Brandenburger CDU hält eine Revision der Standortentscheidung für den Großflughafen Berlin-Brandenburg unter bestimmten Umständen für möglich. Es dürfe „keine Denkverbote geben“, sagte die Landes- und Fraktionsvorsitzende Saskia Ludwig gestern in Potsdam.

Dies gelte „ganz sicher“ auch für den Standort Schönefeld, „wenn wir kurzfristig über eine dritte Start- und Landebahn diskutieren sollten“. Zudem zeigte sich Ludwig grundsätzlich offen für ein erweitertes Nachtflugverbot, wie es die Bürgerinitiativen von Anwohnern und die Grünen fordern.

Harsche Kritik an der Kurskorrektur

Damit ist die CDU Brandenburg dabei, nach der Energiepolitik in einer weiteren zentralen Frage ihren Kurs zu korrigieren und sich gegen die Gesamtpartei zu stellen. Diese hatte sich unter den christdemokratisch geführten Regierungen Helmut Kohl (Bund) und Eberhard Diepgen (Berlin) in den neunziger Jahren maßgeblich für Schönefeld als Standort des Großflughafens eingesetzt. Außerdem galt bisher als Maxime, dass er nur mit einem eingeschränkten Nachtflugverbot wirtschaftlich arbeiten könne.

Ein Treffen mit Bürgern und Bürgerinitiativen (BI) am Montagabend in Rangsdorf hat jedoch bei Ludwig offenkundig einen Sinneswandel ausgelöst. Bei der „Anhörung Zukunft Flughafen Brandenburg“ in Rangsdorf, organisiert von der Landes-CDU, waren die Emotionen hoch geschlagen. Zahlreiche Redner verwarfen etwa die geplanten Schallschutz-Maßnahmen als untauglich. Der Flugbetrieb schade Menschen und Natur.

Ein Sprecher der BI Stahnsdorf riet den Anwohnern, die ungestörten Nächte bis zur Eröffnung des Flughafens Mitte 2012 zu genießen: „Es werden die letzten ihres Lebens sein.“ Letztlich, so der Konsens, helfe nur ein neuer Standort weiter entfernt von Berlin.

Harsche Kritik gab es an der Politik. Der Rentner Eberhard Jauch aus Bohnsdorf sagte unter stürmischem Applaus der 400 Teilnehmer in Rangsdorf: „Für mich ist die sogenannte Demokratie am Boden zerstört worden. Wir haben es mit Betrügern und Strolchen zu tun.“

Mehrere BI-Vertreter dankten der CDU-Landeschefin dafür, dass sie den Anliegen ein Forum gebe. Ludwig wirkte zeitweise überrascht von der sehr grundsätzlichen Kritik am Flughafen. Zu Beginn der Anhörung hatte sie noch betont, die Standortentscheidung sei falsch gewesen, aber „damit müssen wir jetzt leben“.

Einen Tag später sagte Ludwig: „Die Leute haben wirklich berechtigte Interessen.“ In der Frage eines längeren Nachtflug-Verbots sei für die CDU „alles offen“. Der rot-roten Landesregierung warf sie vor, die Bürger nicht als Partner zu behandeln: „Es müssen auch Brandenburger Belange ernst genommen werden“, forderte Ludwig.

Keine Routenkorrektur erwartet

Die FDP und die Flughafengesellschaft reagierten irritiert. Der Standort Schönefeld stehe lange fest und sei letztinstanzlich vom Bundesverwaltungsgericht gebilligt, sagte Flughafensprecher Ralf Kunkel der Berliner Zeitung. „Insofern erübrigt sich jedwede Diskussion.“ Ein erweitertes Nachtflugverbot würde das Gesamtkonzept für den Luftverkehr in Frage stellen. FDP-Fraktionschef Andreas Büttner sagte, seine Partei sehe keinen Grund zur Änderung ihrer Position. „Das muss Politik aushalten, wenn sie glaubwürdig sein will.“ Es gehe auch um Planungssicherheit.

Experten erwarten, dass sich die Proteste gegen die Flugrouten verschärfen werden. Denn die derzeitige Prüfung durch das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung (BAF) werde voraussichtlich zu keinen wesentlichen Änderungen im Interesse der Betroffenen führen.

„Ich gehe davon aus, dass es bei der Startroute über dem Müggelsee bleiben wird“, sagte ein hochrangiger Beobachter der Berliner Zeitung. Die vorgeschlagene Alternativstrecke über den Gosener Wiesen sei mit anderen Routen unvereinbar und entlaste Erkner nicht. Auch für Blankenfelde-Mahlow wären Änderungen unwahrscheinlich, hieß es

Am 26. September will das BAF in der Fluglärmkommission ein erstes Ergebnis seiner Prüfung vorstellen. Dann wird klar, in welchen Gebieten der Protest weiter gehen wird.

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Jahrelange Diskussion

Der Standort: Schon kurz nach der Wende beginnt in Berlin und Brandenburg die Diskussion über den Standort eines neuen Großflughafens. Ein Raumordnungsverfahren sieht 1994 Sperenberg vor Jüterbog-Ost als am besten geeignet. Von sieben untersuchten Standorten kommt Schönefeld an letzter Stelle.

Die Entscheidung: Am 28. Mai 1996 entscheiden sich die Länderchefs Manfred Stolpe (SPD), Eberhard Diepgen sowie Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann (beide CDU) für Schönefeld („Konsensbeschluss“). Brandenburg wollte eigentlich Sperenberg, konnte sich aber nicht durchsetzen.

Das Urteil: Das Bundesverwaltungsgericht bestätigt am 16. März 2006 den Standort und Bau des Flughafens. Es weist aber den eigentlich geplanten 24-Stunden-Betrieb und die zu geringen Lärmschutzmaßnahmen für Anwohner zurück. Die neuen Regelungen verhandelt das Gericht am 20./21. September.
Berliner Zeitung, 24.08.2011
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/berlin/flughafen-schoenefeld-standort-cdu/355952.php

23.08.2011 21:13 Uhr
Von Thorsten Metzner
Brandenburgs CDU rückt von Schönefeld ab
Parteichefin Saskia Ludwig drängt auf Kursänderung. Schon bei einer dritten Landebahn ist für sie die Standortfrage wieder offen
Potsdam – Brandenburgs Christdemokraten rücken wenige Monate vor der Eröffnung vom neuen Schönefelder Flughafen ab. Nachdem die CDU im Bund, in Berlin und in der früheren Potsdamer Großen Koalition das Projekt jahrelang gegen Widerstände vorangetrieben hat, geht jetzt CDU-Fraktions- und Parteichefin Saskia Ludwig unter dem Eindruck massiver Bevölkerungsproteste in Anrainerkommunen auf Distanz. Langfristig ist für Ludwig nicht einmal die Standortfrage tabu.
Am Dienstag erklärte die CDU-Oppositionsführerin vor Journalisten in Potsdam, dass eine Inbetriebnahme Schönefelds zwar nicht zu verhindern sei, es aber schon beim weiteren Ausbau des Airports, etwa einer dritten Start- und Landebahn, „keine Denkverbote“ gebe: Dann stelle sich auch wieder die Standortfrage, sagte Ludwig.
Kurzfristig forderte sie ein „professionelles Mediationsverfahren“ – offenbar in Anlehnung an Stuttgart 21 und Heiner Geißlers Vermittlungsbemühungen – sowie einen bereits vor Eröffnung strikt umgesetzten Lärmschutz. Ludwig schloss nicht aus, dass ihre Fraktion im Landtag dem Antrag der Grünen für ein umfassendes Nachtflugverbot von 22 Uhr bis 6 Uhr zustimmen könnte, der sich zurzeit im parlamentarischen Verfahren befindet. „Wir sind dazu in Gesprächen. Es ist alles möglich.“
Am Vortag hatte die brandenburgische Union auf einer Anhörung in Rangsdorf Vertreter aller Bürgerinitiativen gegen den Airport gehört, die ihrer Wut und Enttäuschung über drohende Belastungen Luft gemacht hatten. Vor rund 400 Betroffenen hatte Ludwig dort das Abstimmungsverhalten der CDU zum Nachtflugverbot noch offengelassen. Sie sagte: „Es ist für eine Partei nicht einfach, Kursänderungen vorzunehmen.“ Angesichts der massiven Proteste sieht sich Ludwig in der Notwendigkeit allerdings bestärkt. Es gibt jedoch innerhalb der CDU Unmut und Widerstände – im Wirtschaftsflügel und bis in die engere Parteispitze hinein. Für Ludwig steht inzwischen außer Zweifel, dass die Wahl von Schönefeld eine krasse Fehlentscheidung war: „Ich halte sie für nicht nachvollziehbar.“
Der berlinnahe Standort des Gemeinschaftsprojektes des Bundes sowie der Länder Berlin und Brandenburg war vom damaligen CDU-Verkehrsminister Matthias Wissmann und Berlins CDU-Regierungschef Eberhard Diepgen gegen den Widerstand von Brandenburgs Regierungschef Manfred Stolpe (SPD) durchgesetzt worden. Brandenburg hatte damals das südlicher gelegene Sperenberg favorisiert. Für Ludwig trägt Stolpe die Hauptverantwortung für Schönefeld. „Letztendlich entscheidet der Landesvater, was auf seinem Grund und Boden passiert. Es ist Brandenburger Heimat. Wenn er Nein gesagt hätte, wäre Schönefeld nicht gekommen“.
Sollte die CDU sich tatsächlich gegen Schönefeld positionieren, wäre das die Abkehr von der eigenen Partei- und Regierungspolitik von 1999 bis 2009 unter den damaligen Ministern und Vize-Regierungschefs Jörg Schönbohm, Johanna Wanka und Ulrich Junghanns. Es wäre die zweite strategische Kurskorrektur, die Ludwig in der Brandenburger Union durchsetzt. Die erste betraf die Energiepolitik, wo Brandenburgs Union neuerdings den Bau weiterer Windkraftanlagen im Land ablehnt – ungeachtet des von Ludwig ebenfalls kritisierten Atomausstiegs von Schwarz-Gelb im Bund.
http://www.tagesspiegel.de/berlin/brandenburgs-cdu-rueckt-von-schoenefeld-ab/4532510.html

Von Wilfried Neiße 24.08.2011 / Berlin / Brandenburg
Brandenburg
CDU hat Schönefeld so nicht gewollt

Fraktionschefin denkt schon über neuen Airport-Standort nach

Fast scheint es, dass der neue Flughafen in Schönefeld nur noch von Politikern gebaut wird, die mit ihm große Probleme haben. Gestern hat CDU-Fraktionschefin Saskia Ludwig den beinharten Pro-Schönefeld-Kurs ihrer Partei deutlich aufgeweicht. Sie räumte ein, dass die Wahl des Flughafenstandorts Schönefeld nicht optimal war.
Unter dem Eindruck einer Bürgerversammlung am Vortag in Rangsdorf sagte Ludwig, mit Blick auf die jetzt bekannt gewordenen Auswirkungen hätte »wohl niemand« diesen Standort gewählt. Sollte eine Erweiterung des Airports zur Debatte stehen, müsse auch ein Wechsel des Standortes in die Überlegungen einbezogen werden. In diesem Falle dürfe es »kein Denkverbot« geben, ebenfalls nicht in Bezug auf eine Ausweitung des Nachtflugverbotes, erklärte Ludwig. Auf den Hinweis, dass es doch in erster Linie CDU-Politiker gewesen sind, die seinerzeit ihre Mehrheit in der Flughafengesellschaft nutzten, um Schönefeld als Standort durchzudrücken, schob Ludwig Manfred Stolpe die Verantwortung zu. Als damaliger Regierungschef habe der die Entscheidung für Schönefeld zu verantworten. Gegen ihn und sein »Nein« hätten sowohl Berlin als auch der Bund nichts machen können, fügte sie hinzu.
In den entscheidenden Sitzungen Mitte der 90er Jahre hatte Stolpe gegen den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Eberhard Diepgen, und Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann (beide CDU) den kürzeren gezogen. Zuvor hatte das Raumordnungsverfahren, ausgearbeitet unter dem damaligen Umweltminister Matthias Platzeck (SPD), Schönefeld als den eindeutig am wenigsten geeigneten Standort bezeichnet und Sperenberg oder Jüterbog den Vorzug gegeben. Doch damit hatte Platzeck nicht nur die CDU und die FDP, sondern auch die Berliner Grünen gegen sich, die in Sperenberg eine Naturschutzzone erhalten wollten und für den Bau des neuen Flughafens in Schönefeld eintraten.
»Die CDU wollte Schönefeld, die SPD nicht«, erklärte gestern SPD-Fraktionschef Ralf Holzschuher und fragte: »Was bleibt von der CDU, wenn sie auch diese Position in Frage stellt?« Er warf der christdemokratischen Fraktionschefin vor, aus populistischen Gründen jetzt, wo es zu spät sei, eine andere Position zu beziehen.
Was die CDU derzeit treibe, sei »vollkommen unglaubwürdig«, sagte LINKEN-Fraktionsschefin Kerstin Kaiser. Jahrzehntelang habe die CDU einen Pro-Schönefeld-Kurs verfolgt und sei voller Ignoranz gegenüber den Folgen aufgetreten, »die schon damals absehbar waren«. Nun bemühe sich die CDU, die ablehnende Stimmung sich zunutze zu machen und der Regierung die Schuld für eigenes Versagen in die Schuhe zu schieben.
Mit Verständnislosigkeit reagierte auch FDP-Fraktionschef Andreas Büttner auf die neuen Töne aus der CDU. Standhaft weigerte er sich, die Frage zu beantworten, ob er mit den aktuellen Erkenntnissen noch einmal Schönefeld als Airport-Standort wählen würde. Dies stehe ebenso nicht zur Debatte wie eine weitere Einschränkung des Flugbetriebes in der Nacht. Beim Großflughafen handele es sich um einen wichtigen wirtschaftlichen Impulsgeber für die gesamte Region. »Es gibt gute Gründe, die Position nicht zu ändern. Es geht um Planungssicherheit. Und um die Frage, ob Politik verlässlich ist oder nicht.«
http://www.neues-deutschland.de/artikel/205153.cdu-hat-schoenefeld-so-nicht-gewollt.html

CDU sieht Flughafenstandort Schönefeld als nicht optimal an

Blick auf die jetzt bekanntwerdenden Auswirkungen

23.08.2011

Potsdam.
Die Brandenburger CDU hat eingeräumt, dass die Wahl des Flughafenstandorts Schönefeld nicht optimal war. Mit Blick auf die jetzt bekanntwerdenden Auswirkungen hätte wohl niemand diesen Standort gewählt, sagte CDU-Fraktionschefin Saskia Ludwig am Dienstag in Potsdam. Sollte eine Erweiterung des Flughafens zur Debatte stehen, müsse auch ein Wechsel des Standorts in die Überlegungen einbezogen werden.
Als damaliger brandenburgischer Regierungschef habe vor allem der SPD-Politiker Manfred Stolpe die Entscheidung für Schönefeld zu verantworten, fügte Ludwig hinzu. Linke-Fraktionschefin Kerstin Kaiser sagte, allein die CDU-Mehrheit im Bund und in Berlin habe damals Schönefeld durchgesetzt.
dapd
http://www.blickpunkt-brandenburg.de/koenigs-wusterhausen/nachrichten/?doc=22586

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